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Das Klinsmann-Konzeptschätzt keine Kompromisse

Der Fußball-Bundestrainer folgt seinem eigenwilligen Kurs

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Bielefeld (WB). Die erste große WM-Staatsaffäre des Jahres liegt hinter uns. Sie bestand aus Diskussionen darüber, was ein Bundestrainer tun muss und nicht lassen darf. Wann Jürgen Klinsmann wo zu sein hat, beschäftigte das Volk, welches sich größtenteils im Zorn erhob: dauerhaft in Deutschland natürlich. Denn die WM ist hier - und die Mannschaft, die sie gewinnen soll, auch.

Dummerweise gibt es auf dem Globus noch andere schöne Flecken. Nun werden die wenigsten schon einmal in Huntington Beach gewesen sein. Allerdings fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, dass sich Jürgen Klinsmann dort wohl fühlt. Blauer Himmel, weiße Strände, wogende Wellen. Es gibt Schlimmeres.
Wahrscheinlich ist es auch das vermeintliche Postkartenidyll, das zur Auseinandersetzung um den Lebensmittelpunkt des Bundestrainers beitrug. Würde er hinter irgendeinem Weizenfeld in irgendeinem Kaff irgendwo im Mittelwesten verheiratet sein, wäre es vielleicht sogar egal gewesen. Aber Kalifornien? Die Amerikaner nennen es den »Golden State«, während die Deutschen verzweifelt auf goldene Zeiten im Fußball warten. Inzwischen lenkte Mister Klinsmann ein und versprach, dass er sich von jetzt an verstärkt in seinem Heimatland aufhalten wird. Halt, das ist falsch dargestellt. Er sagte, er hätte es sowieso vorgehabt.
Soll bloß niemand darauf kommen, die bisher unabhängigste Person im deutschen Fußball wäre eingeknickt. Das »Konzept Klinsmann« schätzt keine Kompromisse. Schon, dass ihm der konservative DFB-Flügel den ungewollten Sportdirektor Sammer aufs Bundestrainer-Auge drückte, gefiel ihm nicht. Da prallten seine Vorstellungen, die er selbst für richtungsweisend und aufgeschlossen hält, besorgte Zweifler jedoch für zu radikal und risikoreich erachten, erstmals am Verband ab.
Es kann auch sein, dass es bei den Funktionären etwas lange dauerte, bis es »klick« machte. Wen hatten sie sich da als Bundestrainer eigentlich eingehandelt? Sie wollten Klinsmann - und bekamen gleich sein komplettes System. Dies bewegt sich mitunter gar nicht mehr in den üblichen Koordinaten eines Fußballfeldes. Der 41 Jahre alte Schwabe geht über Grenzen. Das tat er schon als Profi. Italien, Frankreich, England - Stationen einer äußerst erfolgreichen Laufbahn. Und »geklingelt« hat es dabei nicht nur im gegnerischen Kasten, sondern immer auch auf dem eigenen Bankkonto. Das war nichts Verwerfliches, sondern reines Verhandlungsgeschick. Klinsmann achtete stets darauf, dass er nicht zu kurz kam. Auch bei den Einsatzzeiten. Angeblich ließ er sich Stammplätze festschreiben.
Geboten hat er meistens was. Auf der Visitenkarte eines außergewöhnlichen Angreifers stehen 204 Tore für den VfB Stuttgart, die Bayern, Inter Mailand, Tottenham und Sampdoria Genua. Für die DFB-Auswahl traf Klinsmann 47 Mal und für sie absolvierte er auch seinen wohl legendärsten Auftritt - 1990 im WM-Achtelfinale gegen die Niederlande (2:1). Er malochte damals im Dienst des Teams für Drei. Später holte Deutschland den WM-Titel nach Hause.
Den hat sich Jürgen Klinsmann nun auch als Bundestrainer zum Ziel gesetzt. Man könnte diesen Einfall für ein Hirngespinst halten. Das 1:4 in Italien als Resultat naiver Spielstrategie stürzte den WM-Gastgeber in tiefe Depression. Die deutsche Nationalmannschaft kann unter der Führung ihres ehemaligen Weltklasse-Torjägers nicht international konkurrenzfähig verteidigen. Auf ihrem ebenso leichtfertigen wie ungeordneten Weg nach vorn wird sie von technisch und taktisch besser geschulten Gegner ohne größere Anstrengung simpel abgefangen.
Keine Frage, es kriselt. Nur Klinsmann bleibt auf seinem umstrittenen Kurs. Dazu gehört auch, nichts aus reiner Höflichkeit zu tun, wenn es ihm sonst keinen Sinn zu ergeben scheint. Das Versäumnis, bei der Düsseldorfer Tagung der WM-Trainer die Rolle des guten Gastgebers zu spielen, erklärte der Fehlende erst spät. Der Todestag des Vaters jährte sich in jener Woche, der erste Besuch von Mutter Martha in Kalifornien war lange geplant. Nun ist Jürgen Klinsmann wieder da - er hat dieses Mal etwas mehr in den Koffer gepackt.
Die Kritiker hält es trotzdem nicht mehr hinter den Büschen. Abfuhr in Florenz, abwesend in Düsseldorf - das gab Breitseiten besonders in der Bild-Zeitung, die schon genauso scharf schießt wie er selbst früher. Sich medialem Druck zu beugen, sich womöglich hier auch noch Liebkind zu machen, verabscheut Klinsmann fast mehr als alles andere. Auch Einmischungen von Institutionen und Aufforderungen von außen, sein Handeln zu überdenken, kann er nicht leiden. Dazu steht der Vorwurf im Raum, er mustere aus, wer dem »Kreis Klinsmann« nicht dienlich ist oder dazu neigen könnte, Ärger zu machen. Sepp Maier und Christian Wörns würden das wohl kaum dementieren.
Aufgebraucht ist nun der Begeisterungsvorschub - ersetzt von der Furcht, Klinsmann könne ein Gaukler sein, dessen höchste Qualität das Gehalt und die Schönfärberei sind. Eine reichliche Portion amerikanisches Abenteuer steckt ganz sicher in seinem WM-Projekt.

Artikel vom 16.03.2006