11.03.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Thailand-Urlaub ohne Wiederkehr

Mädchen (16) verliert bei Unfall Eltern und Bruder - »Botschaft wenig hilfreich«

Von Christian Althoff
Herford (WB). Die Familie wollte für ein paar Tage dem Winter entfliehen, doch der Thailand-Urlaub wurde für die Eltern und ihren Sohn zur Reise ohne Wiederkehr. Sie starben bei einem schweren Unfall, den nur die Tochter überlebte.

Auf dem »Ewigen Frieden« in Herford stehen drei Holzkreuze in einem Meer weißer Rosen und Kränze. Hier liegen Rebecca (40) und Adolf-Ernst Parpalioni (40), zwischen ihnen hat ihr Sohn Karl-Heinz (12) seine letzte Ruhestätte gefunden. Den Unfall, bei dem die drei vor sieben Wochen getötet worden waren, hatte nur Tochter Stefanie (16) schwerverletzt überlebt. »Und um sie kümmert sich jetzt die ganze Familie«, sagt Helga Parpalioni (43) aus Enger, die um Bruder, Schwägerin und Neffen trauert.
Die aus Herford stammende Schaustellerfamilie, die zuletzt in Münster gewohnt hatte, war für zwei Wochen nach Pattaya geflogen. Am letzten Urlaubstag wollte Adolf-Ernst (»Dölfi«) Parpalioni seinen Kindern den Königspalast in Bangkok zeigen. Auf der Fahrt dorthin raste der Taxifahrer (44) in einen Lkw. Der Taxifahrer und drei seiner deutschen Fahrgäste waren auf der Stelle tot. Stefanie wurde mit einem Leberriss, zertrümmertem Kiefer und Brüchen an Jochbein, Unterschenkel, Oberschenkel und Handgelenk aus dem Wrack gezogen.
Helga Parpalioni kämpft mit den Tränen, als sie schildert, wie sie in Bangkok Tag und Nacht am Krankenbett ihrer Nichte gesessen hat: »Stefanie konnte wegen ihres zertrümmerten Kiefers nicht sprechen. Sie hielt mir immer wieder ein selbstgemaltes Herz hin, in dem die Worte Mama, Papa, Kalli und ein Fragezeichen standen. Drei Tage habe ich das Mädchen belogen, weil es noch eine zweite OP vor sich hatte und keinen Zusammenbruch erleiden sollte.«
Helga Parpalioni war am Tag nach Erhalt der Todesnachricht mit vier Verwandten nach Thailand geflogen. Pfarrer Volker Schmidt aus Enger, Polizeiseelsorger im Kreis Herford, hatte die Hinterbliebenen bei der Deutschen Botschaft in Bangkok angekündigt. »Trotzdem hat uns niemand erwartet« sagt Helga Parpalioni verbittert. Nicht einmal bei der Suche nach einem Hotel sei die Auslandsvertretung behilflich gewesen. »Bangkok war wegen des chinesischen Neujahrsfestes ausgebucht. Wir mussten dreimal das Hotel wechseln.«
In der Stadt Chonburi, in der der Unfall geschehen war, erfuhren die Parpalionis vom örtlichen Polizeichef, dass die Toten ausgeraubt worden waren. »Pässe, Flugtickets und Geld waren weg. Der Polizist erklärte uns lächelnd, dass das üblich sei, weil Tote ja schließlich nichts mehr brauchten. Die Thais würden den Polizeifunk abhören und vor dem Eintreffen der Rettungskräfte die Wertsachen an sich bringen«, erzählt die 43-Jährige. Weil die Opfer nur mit Papieren nach Deutschland überführt werden durften, musste die Familie bei der Botschaft neue Pässe beantragen - auch für Stefanie, deren Reisepass ebenfalls gestohlen worden war.
Während sich die übrigen Verwandten darum kümmerten, dass die Verstorbenen eingesargt wurden (»Sonst hätten die Thailänder die drei verbrannt«), wachte Helga Parpalioni im »Bangkok Nursing Home«-Hospital am Bett ihrer Nichte. »Als Stefanie schließlich vom Tod ihrer Familie erfuhr, hat sie nur geschluckt und sich nichts anmerken lassen. Aber in den Nächten hat sie bitterlich in ihr Kissen geweint.«
Der ADAC, bei dem die Familie versichert war, organisierte schließlich die Überführung der Toten und den Transport des schwerverletzten Mädchens mit einer Spezialmaschine der Lufthansa. Mehrere Schausteller nahmen Abschied, als die Opfer am 9. Februar in Herford bestattet wurden. Stefanie wurde in einem Rollstuhl ans Grab geschoben: Sie war in Deutschland ein drittes Mal operiert worden und absolviert gerade im Rheinland eine ambulante Reha-Maßnahme.
»Die Anteilnahme unserer Berufskollegen war überwältigend«, sagt Anna Parpalioni (68), die ihren Sohn, ihre Schwiegertochter und ihren Enkel verloren hat. Nach der Beerdigung sei die Familie allerdings in ein tiefes Loch gefallen. »Drei Bestattungen, die Flüge nach Thailand, Anwaltskosten - wir wissen nicht mehr, wie wir das alles bezahlen sollen und fühlen uns alleine gelassen. Außer Pfarrer Schmidt fragt nämlich niemand nach uns.« Seit 45 Jahren lebe die Familie schon in Enger, sagt Anna Parpalioni, aber der Bürgermeister habe es nicht einmal für nötig gehalten, zu kondolieren. »Auch nach Stefanie hat sich noch niemand erkundigt - obwohl sie jetzt eine minderjährige Vollwaise ist.«
Eigentlich sollte Anna Parpalioni in diesen Tagen zwei neue Kniegelenke bekommen, weil sie sich nur noch unter großen Beschwerden bewegen kann. Doch die 68-Jährige hat die OP abgesagt: »Die Kirmessaison beginnt in einer Woche. Wenn ich dann nicht mit dem Süßwaren-Wagen meines verstorbenen Sohnes dabei bin, verlieren wir den Platz an andere Schausteller, und Stefanie ist um ihre Existenz gebracht.« Denn die 16-Jährige wolle unbedingt das Geschäft ihrer Eltern fortführen, erzählt die Großmutter und beschreibt unter Tränen, wie sehr das Mädchen seine Eltern vermisst: »Stefanie schläft seit Wochen in der Bettwäsche ihrer Eltern. Sie hat uns verboten, die Bezüge zu waschen. Sie sagt, sie will den Geruch von Mama und Papa nicht auch noch verlieren.«

Artikel vom 11.03.2006