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Illusion einer nie endenden Party
Musical »Saturday Night Fever« lässt in der Stadthalle Bielefeld die 70er Jahre wieder lebendig werden
Erinnern Sie sich noch? An heiße Disconächte auf unbequemen Plateauschuhen und in schwitzigen Polyesteranzügen mit Schlaghosen - in der einen Hand einen kühlen Drink und in der anderen eine schöne Frau? Dieses Szenario kommt sicher auch vielen jungen Nachtschwärmern bekannt vor, wenngleich sie die »Discomania« der späten 70er Jahre nicht selbst miterlebt haben.
Die 70er Jahre verbinden die Generationen, ihnen haftet trotz aller Schrillheit und Buntheit etwas Zeitloses an. Viele Revivals haben sie schon überstanden, ihr blumiger und unkomplizierter Charakter hat sich selbst vom Businesskostüm der 90er Jahre nicht einzwängen lassen. Im Jahrzehnt der Selbstfindung entdeckte Brigitte Bardot den Tierschutz, Andy Warhol malte Mao und die ersten machten sich Gedanken über Zen und Naturmedizin. Jeder suchte seine eigene Nische - erlaubt war, was gefiel. Auch musikalisch sind die 70er Jahre aus unserem kollektiven Gedächtnis nicht mehr wegzudenken. Kaum eine Party kommt heute noch zu später - oder besser gesagt - zu früher Stunde ohne »How Deep Is Your Love« von den legendären BEE GEES aus, und jeder Teenager springt bei »I Will Survive« von Gloria Gaynor auf die Tanzfläche.
Wer Lust auf eine Erinnerungsreise in die 70er Jahre hat oder einfach den Beat dieser Generation auf sich wirken lassen möchte, der sollte sich mindestens einen Abend vom 4. bis 7. Mai freihalten und Karten für das Musical »Saturday Night Fever« in der Bielefelder Stadthalle besorgen. Die Bühnenversion des legendären Musikfilms von 1977 mit John Travolta in der Hauptrolle gastierte schon vor ein paar Jahren im Kölner Musical Dome, vergangenes Jahr erlebten die Zuschauer im Düsseldorfer Capitol das Musical in einer Neuinszenierung. Regisseur Alex Balga kreierte eine Bühnenshow, die sich durchaus am Original messen lassen kann.
Robert Stigwood, der 1977 in der Kinoversion Regie führte, gehört auch beim aktuellen Musical zum Produzententeam. Hauptdarsteller Ron Holzschuh, Freunden der Seifenoper bereits als Bernd von Beyenbach aus der ARD-Soap »Verbotene Liebe« bekannt, begeistert sein Publikum als Tony Manero mit Tanz und Gesang, während John Travolta auf der Kinoleinwand keine einzige Note selber sang.
»Saturday Night Fever« ist ein legendär gewordenes Lebensgefühl. Es ist die Geschichte des mittellosen Amerikaners Tony Manero, der unter der Woche in einem Farbenladen arbeitet, ständig im Clinch mit seinen nörgelnden Eltern liegt und nur für die Samstagabende im »2001 Odyssey«, einer Diskothek in Brooklyn, lebt. Dort blüht er auf, und sein tristes Dasein in dem Farbenladen verblasst - zumindest für eine Nacht. In seinem Anzug aus Kunstfaser, seinen Boogie Shoes und der Föhnfrisur ist er der Gott der Tanzfläche und bringt mit seinem Hüftschwung Mädchenherzen zum Schmelzen. Gemeinsam mit seiner Tanzpartnerin Stephanie will er an einem Wettbewerb teilnehmen, um endlich in die »Upper Class« - ins feine Manhattan - aufzusteigen.
Tony Manero ist auch über das Tanzen hinaus an Stephanie interessiert, doch die junge, eher in feinere Kreise aufstrebende Dame ist zunächst skeptisch. Am Schluss aber träumen dann doch beide gemeinsam von einem besseren Leben. »Saturday Night Fever« steht und fällt - wie jedes Musical - mit der Musik. Und die lockt selbst den größten Tanzmuffel von den Sitzen. Die BEE GEES sangen den Soundtrack zum Film mit John Travolta und landeten mit dem Titelsong »Night Fever« 1978 einen Nummer-Eins-Hit. »Night Fever« war der meistgespielte Song in den USA. Die Scheibe der Briten ist bis heute einer der erfolgreichsten Soundtracks aller Zeiten. Die Gebrüder Gibb schrieben nicht nur eine mitreißende Filmmusik, sie komponierten auch den unvergänglichen Sound einer ganzen Generation.
Die Discomusik entstand aus der Soulmusik der späten 60er Jahre. In den 70er Jahren boomte zunächst die Rockmusik. Bis viele Menschen keine Lust mehr hatten, in überfüllten Stadien winzigkleinen Musikern auf einer Bühne beim Singen und Tanzen zuzusehen.
Sie wollten selbst mitmachen, im Mittelpunkt stehen und sich ein bisschen im Glamour der großen weiten Glitzerwelt wähnen. Soul-Ikone Barry White (»Love's Theme«, »I've Got So Much To Give«) hatte dazu seinen ganz eigenen Standpunkt: »Das Lebensgefühl ÝDiscoÜ war wunderschön, weil es den Verbraucher schön erscheinen ließ. Der Konsument war der Star und Disco handelte von Eleganz. Elegante Leute wollten zu eleganter Musik tanzen«, sagte White einmal.
Die »Discomania« der 70er Jahre war ein El Dorado für Selbstdarsteller, die sich jeden Samstag neu erfinden und inszenieren wollten, um sich der großen Illusion einer immerwährenden Party auf der Tanzfläche der Eitelkeiten hinzugeben.
Nach so viel Glitzer und Glamour an den Samstagabenden mochte man es unter der Woche eher gemütlich und genoss farbiges Pantoffelkino auf dem Flokati-Tepppich unter der Fototapete. Später auf dem Wasserbett wagte man schon einen Gedanken an die nächste fiebrige Disconacht. Denn nach dem Samstagabend ist vor dem Samstagabend... Maren Waltemode

Artikel vom 08.04.2006