10.03.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Die Bayern-Baustelle

Nach dem Aus in Mailand: scharfe Kritik der Bosse

Mailand (dpa). Nach einem der bittersten Abende in seiner glanzvollen Europapokal-Historie steht der FC Bayern München trotz der Aussicht auf zwei nationale Titel vor einem Umbruch. Während sich Trainer Felix Magath nach dem blamablen 1:4-K.o. im Achtelfinale der Champions League beim AC Mailand in Ausreden flüchtete, brachte Manager Uli Hoeneß die Missstände offen auf den Punkt.

»Bei dem einen oder anderen hat man heute gesehen, dass es nicht reicht«, musste der Manager zerknirscht eingestehen. »Wir haben viele Baustellen gesehen und die muss man in aller Ruhe analysieren. Und eines ist mir klar geworden, dass wir was zu tun haben.«
Auch Franz Beckenbauer sieht nach den erschreckenden 90 Minuten, die er daheim am Fernseher miterlebt hatte, Handlungsbedarf. Der Umbau des Kaders ist jedoch Zukunftsmusik, der »Kaiser« sorgt sich nach der Vorführung um die aktuellen Ziele: »Wenn man so aus der Champions League gedonnert wird, hinterlässt das Spuren. Jetzt muss man sich auf das Wesentliche konzentrieren, die Bundesliga. Zweiter zu werden, wäre eine zusätzliche Blamage. Mit dem Double könnte man die Saison einigermaßen retten«, meinte ein verärgerter Beckenbauer.
Jedes Jahr reden die Münchener vom Finale, doch die Demütigung ausgerechnet am Ort des Champions-League-Sieges von 2001 machte klar: Tatsächlich entfernen sie sich immer weiter von einem für dieses Team zu hohen Anspruch. In der Abwehr wacklig, im Mittelfeld ideenlos, im Angriff ohne jede Durchschlagskraft. »Milan war übermächtig«, urteilte Beckenbauer.
Vor allem Michael Ballack konnte der Chefrolle einmal mehr nicht gerecht werden und ging in seinem wohl letzten Europapokalspiel für die Münchener sang- und klanglos unter. Zwar versuchte Oliver Kahn, der völlig frustriert nur 13 Minuten nach Spielende geduscht aus dem Stadion flüchtete, seine Kollegen zwischenzeitlich wach zu rütteln. Doch der Wirkungskreis für einen Torwart ist begrenzt.
Frappierend erinnerte der Auftritt an die blamable Vorstellung der Nationalelf beim 1:4 vor einer Woche in Florenz gegen Italien - Ballack und Kollegen wurden zum zweiten Mal binnen acht Tagen vorgeführt. Die Treffer von Filippo Inzaghi (8./47.), Andrej Schewtschenko (25.) und Kaka (59.) bei einem eigenen Tor von Valerien Ismael (35.) besiegelten die zweithöchste Niederlage der Bayern in der Champions League überhaupt. Deutlicher war man nur im April 1995 mit dem 2:5 bei Ajax Amsterdam untergegangen.
Totenstille herrschte nach dem Schlusspfiff bei der während der Partie schon zeitweilig leblosen Mannschaft. Das Bankett geriet zur Pflichtveranstaltung. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sprach von »Albtraum«, »Debakel« und »Blamage«; Scampis und Entenbrust wollten den Spielern nicht mehr schmecken. »Mailand hat uns eine Lektion im körperbetonten Fußball, in Leidenschaft und Willen erteilt«, sagte Rummenigge und forderte den Gewinn von Meisterschaft und DFB-Pokal. »Wenn man international seine Ziele nicht erreicht, muss man wenigstens national die Ziele erreichen.«
Einzig der Trainer stellte sich vor das Team. »Es mag mit ein Problem sein, dass wir in der Liga immer in der Schlussphase mit mehr Aufwand erfolgreich waren. Das verführt dazu zu glauben, dass man diese Stärke immer umsetzen kann«, sagte Magath, der aber diese Ansicht exklusiv hatte: »Wir können auf dem gleichen Niveau wie der AC Milan spielen.«

Artikel vom 10.03.2006