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Meinungsfreiheit gibt es nicht
bei Europas letztem Diktator

Weißrussland wählt - keine echte Alternative zu Alexander Lukaschenko

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). In Weißrussland sind am 19. März Präsidentschaftswahlen. Niemand zweifelt an der Wiederwahl Alexander Lukaschenkos, des letzten Diktators in Europa.
Gegenkandidat Alexander Konsulin auf dem Weg zu einer Wahlverstaltung des Präsidenten. Er wird festgenommen und verprügelt. Vasily Fedosenko fotografiert für Reuters diese Szene, aber nicht was folgt.
Alexander Lukaschenko, letzter Diktator Europas, stellt sich am Sonntag zu Wiederwahl. Foto: Fedosenko

Vasily Fedosenko ist Pressefotograf. Vor knapp 20 Jahren machte er sich auf den Weg zu einem Kernkraftwerk namens Tschernobyl. Dort sollte es brennen. Das hatte seine Redaktion in Minsk gehört - auf nichtoffiziellen Nachrichtenkanälen, was die Brisanz erheblich erhöhte.
Fedosenko musste vorsichtig sein. Nicht die mögliche Strahlung ängstigte ihn, sondern die Gefahr, dem Geheimdienst, einer Miliz oder den vielen sonstigen Offiziellen in die Arme zu laufen. Die konnten Ende April 1986 jede Form von Hilfe brauchen, nur bloß keine Journalisten an einem Ort, wo nach Angaben des neuen Generalsekretärs der KPdSU, Michail Gorbatschow, rein gar nichts war.
In den folgenden zwei Jahrzehnten ist Erstaunliches geschehen und Fedosenko fast immer dabei gewesen. In Minsk wurden Anfang der 90er Jahre die UdSSR aufgelöst und ein freies Parlament gewählt. Fedosenko fotografierte in Afghanistan, beobachtete in Beslan die gescheiterte Befreiung von Schulkindern aus der Hand tschetschenischer Rebellen und dokumentierte tage- und nächtelang die orangefarbene Revolution in Kiew. Er fotografierte den Neubau Berlins zur Bundeshauptstadt und erlebte Befreiung und Aufbruch vom Baltikum bis zur Modernisierung des Balkans.
Nur daheim blieb - nach einem kurzen politischen Frühling - alles so wie früher. Weißrussland ist das Nordkorea Europas, Minsk das Pjöngjang diesseits des Urals. Fedosenko erlebt inzwischen wieder die gleiche alte Tristesse, politische Bevormundung und ständige Gefahr, als Bildberichterstatter bei den Herrschenden anzuecken, wie vor zwei Jahrzehnten.
An diesem Sonntag, 19. März, stellt sich der seit 1994 regierende Lukaschenko zum dritten Mal zur Wahl, die Verfassung hat der Autokrat in seinem Sinne ändern lassen, Oppositionskandidaten haben keine echte Chance. Herausforderer Alexander Konsulin wurde vor vergangene Woche noch kurzzeitig festgenommen und verprügelt. Fedosenko war dabei, fotografierte, was eben noch möglich war, nämlich das Opfer, nicht aber die wahren »Täter« vom Geheimdienst KGB.
Weißrussland sei die letzte Diktatur Europas, schreibt die Konrad Adenauer-Stiftung in ihrem jüngsten Demokratie-Report. Das herrschende Regime habe eine Gewaltherrschaft im Stile der früheren Sowjetunion wiedererrichtet und den demokratischen und wirtschaftlichen Erneuerungsprozess der frühen 90er Jahren hinter seine Anfänge zurückgeführt.
Auch das in Kanada ansässige »Center for Journalism in Extreme Situations« beklagt den Rückfall Weißrusslands »in die dunkle Zeit des Stalinismus«. In Toronto wird auf ein von Lukaschenko im Dezember unterzeichnetes Geheimdekret verwiesen. Danach wird Kritik an der Autoriät des Präsidenten und seiner Regierung mit Gefängnis von bis zu fünf Jahren bestraft.
Um den Grad der Freiheit von Berichterstattung in nationalen Medien zu messen, hat die Adenauer-Stiftung eine Skala entwickelt. Unter Aussparung des ohnehin staatlich gelenkten Rundfunks hat sie ihre Einschätzung der Entwicklung der vergangenen fünf Jahre auf minus drei abgesenkt - von »extreme drangsaliert« auf »fast vollständig verboten«.
Vasily Fedosenko ist inzwischen für die weltweit tätige Presseagentur Reuters im Einsatz. Das erlaubt ihm, an alle Krisenherde der Welt zu reisen, nicht aber an die Südgrenze seines eigenen Landes, wo die Erde noch lebensgefährlich strahlt, aber längst wieder Menschen in verbotenen Zonen leben.

Artikel vom 15.03.2006