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Hirnforscher und Evolutionsbiologen zwischen Naturwissenschaft und Weltanschauung

Rückfall ins 19. Jahrhundert?
Von Hans Thomas


Hirnforscher erklären im Namen ihrer Wissenschaft (!), der Mensch habe keinen freien Willen. Und weil im Juli 2005 ein katholischer Kardinal - und das auch noch in der bekannten New York Times - es für vernünftig hielt, angesichts der Ordnung in der unbelebten und belebten Natur eine sie planende Vernunft anzunehmen, herrscht Aufregung unter Evolutionsbiologen. Neo-Darwinisten wittern Religionskrieg gegen die »Selbstorganisation der Materie«. Gegen die Theorie, nicht nur alles Lebendige, sondern der ganze Kosmos habe sich spontan und zufällig entwickelt - in einer Jahrmilliarden langen Zufallskette, beginnend mit dem Urknall. Wer unschuldig fragt, was denn wohl da geknallt hat, was also vor dem Urknall war, gilt als unwissenschaftlicher Spielverderber. Insofern bedeutet die Vorsilbe »Ur-« naturwissenschaftlich nur ein Frageverbot. »Naive Fragen zur Evolution« läßt sich Peter Blank, Autor des soeben im Sankt Ulrich Verlag erschienen Büchleins »Alles Zufall?« aber nicht verbieten.

Für Hirnforscher hat Darwins Bewunderer Ernst Haeckel 1899 sogar ein Denkverbot erlassen: »Nach meiner Überzeugung ist das, was man die 'Seele' nennt, in Wahrheit eine Naturerscheinung; ich betrachte daher die Psychologie als einen Teil der Naturwissenschaft - und zwar der Physiologie. Demzufolge muss ich von vornherein betonen, dass wir für dieselbe keine anderen Forschungswege zulassen können als in allen anderen Naturwissenschaften« (»Die Welträtsel«, Leipzig 1899, S. 45).

Die Physik hat
ihren strengen Determinismus längst aufgegeben.

Ein Rückfall also ins 19. Jahrhundert? Damals war es unter Gebildeten durchaus Mode, nicht an Gott, sondern an die Wissenschaft zu glauben Für Newton waren die strengen Naturgesetze noch ein Zeugnis göttlichen Geistes. Voltaire stilisierte ihn zum Philosophen: Nun sei Gott überflüssig. Modell exakter Wissenschaft wurde die Physik: Keine Wirkung ohne berechenbare Ursache. So wünschten es sich die »weicheren« Wissenschaften auch, von der Biologie bis zu den Sozialwissenschaften. Allerdings hat die Physik ihren strengen Determinismus längst aufgegeben. Gegen die neuen Unbestimmtheiten der Quantenphysik wehrte sich noch Albert Einstein: »Gott würfelt nicht«. Offenbar doch, wie er sich schließlich belehren ließ.

So schrieb der Physik-Nobelpreisträger Max Planck dann 1937 über das Verhältnis von Religion und Naturwissenschaft, sie stünden »keineswegs in Widerspruch miteinander, sondern lauten übereinstimmend dahin, daß erstens eine von den Menschen unabhängige Weltordnung existiert und daß zweitens das Wesen dieser Weltordnung niemals erkennbar ist, sondern nur indirekt erfaßt, beziehungsweise erahnt werden kann. Sie in Gegensatz zu stellen, fügte sein Zeitgenosse, der Chemiker Paul Sabatier, ebenfalls Nobelpreisträger, hinzu, »ist Sache von Leuten, die schlecht unterrichtet sind: in der einen wie in der anderen Wissenschaft.«

Diese Wende steht der Neuro- und Evolutionsbiologie wohl erst noch bevor. Sie sind noch junge Wissenschaften. Kein Experiment belegt bis heute den biologischen Übergang von einer Art in eine andere. Und die Entstehung der Werke Mozarts oder Michelangelos aufgrund neurobiologischer Notwendigkeit ist noch nicht beschrieben. Müßte man nicht bei den Märtyrern gar eine krankhafte Entartung der evolutionären Überlebensstrategie annehmen? Zwar können sich beide Wissenschaften auf beachtliche neurologische und genetische Plausibilitäten stützen - und auf 250 000 Fossilien- und Skelettfunde, die sie aber interpretieren müssen wie Historiker ihre Quellen. Da mag es schwerfallen, naturwissenschaftliche Einsichten zu trennen von der alten, liebgewordenen Ideologie, dass es Gott nicht geben darf.

Ihre tatsächlichen Erkenntnisse lehren indessen gläubige Christen erst recht zu staunen über die Allmacht und Weisheit eines Schöpfers, der sich dessen bedient, was wir »Zufall« nennen - eben zufälliger Genmutationen und ihrer evolutionären Auslese.

Artikel vom 18.03.2006