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Cosa Nostra in
New York lebt

Prozess gegen den Gambino-Paten

New York (dpa). Sie heißen »Ralph, der Leichenbestatter«, »John, der Panzerknacker« oder »Carmine, die Schlange«. Sie erpressen Schutzgelder und liquidieren Verräter.

Aber sonntags gehen sie zur Kirche. Was zurzeit in einem großen Prozess über die New Yorker Mafia ans Licht kommt, erfüllt jedes Klischee. Und es zeigt: Trotz aller Erfolge der Polizei ist die Cosa Nostra, die sizilianische Mafia in New York, keineswegs geschlagen.
Der Angeklagte vor dem Bundesgericht in Manhattan heißt John Gotti Junior (41) und ist nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft der Pate (Boss) der Mafiafamilie Gambino. Er wird beschuldigt, den Gründer der Bürgerwehr »Guardian Angels«, Curtis Sliwa, entführt und angeschossen zu haben, weil dieser seinen Vater, Gotti Senior, kritisiert hatte. Während Gotti bereits vor Gericht stand, gelang der Polizei Ende Februar ein schwerer Schlag gegen den Konkurrenz-Clan, die Genovese-Familie: 32 Mitglieder wurden angeklagt, darunter einmal mehr der Boss Liborio Bellomo.
Kronzeuge der Anklage im Gotti-Prozess ist der Killer Michael DiLeonardo. Er erzählt, wie er am Heiligen Abend 1988 in die »Ehrenwerte Gesellschaft« aufgenommen wurde: In Anzug und Krawatte erschien er in einer Wohnung in Little Italy, einem der beliebtesten Touristenziele in Manhattan. Dort erklärte ihm ein Consigliere (Berater des Bosses): »Das hier ist kein Club. Es ist eine Geheimgesellschaft. Es gibt nur eine Art, auf die man diese Gesellschaft wieder verlassen kann - auf einer Bahre.«
Dann stach er DiLeonardo in den Zeigefinger, ließ etwas Blut auf das Bild eines katholischen Heiligen tropfen und zündete das Kärtchen in DiLeonardos geöffneter Hand an. Dazu musste dieser sagen: »Wenn ich den Eid der Omertà (die Schweigepflicht) breche, soll meine Seele in der Hölle brennen wie dieser Heilige.«
Gottis Vater, der »Teflon Don« genannt wurde, weil lange Zeit alle Vorwürfe an ihm abperlten, galt als prominentester Gangster der USA seit Al Capone. Als er 2002 im Alter von 61 Jahren in einem Gefängniskrankenhaus an Krebs starb, bereitete ihm sein Sohn ein spektakuläres Begräbnis: Dutzende schwarzer Limousinen und Hunderte Privatautos folgten dem Sarg durch den New Yorker Stadtteil Queens. Damals, so die Überzeugung der Staatsanwaltschaft, übernahm der junge Gotti die Position des Vaters.
Nach eigenen Beteuerungen ist er die Unschuld in Person. Seine Anwälte stellen die Mafia als Erfindung Hollywoods hin und werfen den Ermittlern Vorurteile gegen Italo-Amerikaner vor. Auch dafür, dass in einem Keller von Gotti 350 000 Dollar gefunden wurden, haben seine Anwälte eine Erklärung parat: Das Geld bekam er zur Hochzeit geschenkt.

Artikel vom 09.03.2006