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Hat die Wissenschaft festgestellt, dass der Mensch nicht frei ist?

Keine These sollte uns am freien Willen zweifeln lassen
Von Daniel von Wachter


Die Hirnforschung hat vieles über die Bestandteile und die Funktionsweisen des menschlichen Gehirns entdeckt. Einige Forscher, besonders Wolf Singer und Gerhard Roth, sagen der Öffentlichkeit nun, dass wir wüssten, dass jedes Hirnereignis das Ergebnis von neuronalen Prozessen sei. Mithin seien auch unsere Handlungen determiniert, d.h. im voraus festgelegt und nicht frei. Ich werde im folgenden die Behauptung verteidigen, dass die Hirnforschung so etwas gar nicht herausfinden kann. Dass also die Determinismusthese ein Teil des Weltbildes dieser Hirnforscher ist, der nicht durch die Hirnforschung begründet ist. Sie sollte uns nicht am freien Willen zweifeln lassen.

Die Determinismusthese besagt, dass jedes Hirnereignis eine volle vorangehende Ursache hat und also das Ergebnis eines kausalen Prozesses ist. Etwa so wie das Schlagen einer Kuckucksuhr allein durch die Vorgänge in der Mechanik der Uhr verursacht wird.

Wenn Sie Ihren Arm heben, wird das Hochgehen des Armes durch Vorgänge in den Muskeln verursacht, die wiederum von Vorgängen in den Nerven verursacht werden, die ihrerseits durch Ereignisse im Gehirn verursacht werden. Gemäß Determinismusthese führt dieser Verursachungsprozess beliebig weit zurück. Er hat keinen Anfang. Die Gehirnvorgänge sind durch andere Gehirnvorgänge verursacht, und diese sind wiederum durch andere physische Vorgänge verursacht.

Dann wird angenommen, dass jede Entscheidung, die wir treffen, in Wirklichkeit ein Gehirnereignis ist und durch andere Gehirnereignisse verursacht wird. So schreibt Wolf Singer, »dass Entscheidungen vom Gehirn getroffen werden, also auf neuronalen Prozessen beruhen«. Etwas ausführlicher: »Welches der vielen möglichen Erregungsmuster als nächstes die Oberhand gewinnt, ist demnach festgelegt durch die spezifische Verschaltung und den unmittelbar vorausgehenden dynamischen Gesamtzustand des Gehirns.«

Wenn die Determinismusthese wahr ist, dann sind wir nicht frei. Das sagen Singer und Roth, und das ist dann auch naheliegend. Wenn alle unsere Handlungen Ergebnisse kausaler Prozesse sind, die nicht von dem Handelnden in Gang gesetzt werden und auch nicht gestoppt werden können, sondern schon in Gang waren, bevor der Handelnde an die Handlung dachte, dann sind wir nicht frei, selbst wenn wir uns frei fühlen. Genau das meint man gewöhnlich, wenn man sagt, wir seien nicht frei.

Wenn die Determinismusthese wahr ist, dann sind wir nicht frei.

Einige Philosophen, so Jürgen   Habermas, haben das bestritten.

Artikel vom 18.03.2006