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Krankenkasse überprüft Ärzte

Mediziner sollen Provisionszahlungen von Ratiopharm erhalten haben

Von Ernst-Wilhelm Pape
Bielefeld/Hannover (WB). Die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) lässt derzeit alle abgerechneten Medikamentenverordnungen der 120 000 Haus- und Fachärzte in Deutschland überprüfen.

Das gesamte Abrechnungsjahr 2005 werde unter die Lupe genommen, sagte KKH-Sprecherin Uljana Klein gestern dieser Zeitung. Grund der internen Analyse seien Hinweise, dass das Pharmaunternehmen Ratiopharm (Ulm) durch Sonderzahlungen das Verordnungsverhalten von Ärzten beeinflusst haben könnte. Die Überprüfung werde bis Ende März dauern. Mit ersten Ergebnisse sei Anfang April zu rechnen. Derzeit zeichne sich noch keine Tendenz ab, ob im großen Rahmen Ärzte Umsatzprovisionen von Ratiopharm erhalten haben, sagte Klein.
Die KKH habe ferner alle gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland aufgefordert, ebenfalls ihre Arztabrechnungen im Hinblick auf Ratiopharm zu überprüfen. Auch die Ärztekammern seien informiert worden.
Nach der Filterung der Abrechnungen werde die KKH im April Werte zum durchschnittlichen Verordnungsverhalten der Ärzte vorlegen. Auch regionale Unterschiede würden deutlich gemacht. Die Kaufmännische Krankenkasse mit Sitz in Hannover ist auf das gesamte Bundesgebiet bezogen mit 1,9 Millionen Mitgliedern die viertgrößte gesetzliche Krankenkasse.
In sieben konkreten Fällen überprüft die Ärztekammer Nordrhein derzeit, ob Mediziner gegen die Berufsordnung verstoßen haben. Die rheinischen Ärzte aus dem Raum Kerpen sollen Umsatzprovisionen vom Pharmakonzern Ratiopharm erhalten haben. Sechs Ärzte lassen sich anwaltlich vertreten und haben noch bis zum 20. März Zeit, sich gegenüber der Ärztekammer schriftlich zu den Vorwürfen zu äußern. Ein Mediziner habe sich bereits mündlich geäußert und mitgeteilt, keine Vereinbarung mit Ratiopharm abgeschlossen zu haben. Die Frage, ob er Geld von dem Pharmaunternehmen bekommen habe, sei aber noch nicht beantwortet worden, sagte Kammersprecher Horst Schumacher. Auch Ratiopharm sei um eine Stellungnahme gebeten worden. Eine Antwort stehe noch aus. »Wenn wir den Sachverhalt nicht ausreichend aufklären können, wird der Vorstand entscheiden, ob Strafanzeige gegen die Ärzte erstattet wird«, sagte Schumacher.
Die Hinweise auf Zahlung von Umsatzprovisionen hätten sich aus einem mehrseitigen internen Schriftverkehr von Ratiopharm-Außendienstmitarbeitern ergeben. Aus dem Schriftverkehr gehe hervor, dass Ärzte fünf Prozent vom Umsatz erhalten hätten.
Die KKH hatte bei einer Stichprobe festgestellt, dass niedergelassene Ärzte, die im Verdacht stehen, Provisionszahlungen angenommen zu haben, auf eine Quote von 60 Prozent bei der Verordnung von Ratiopharm-Artikeln kommen. Der Marktanteil des Ulmer Herstellers liege dagegen nur bei 18 Prozent. Im vergangenen Jahr hatte die KKH deutschlandweit Abrechnungsmanipulationen in Höhe von knapp einer Millionen Euro aufgedeckt.
Wie berichtet, hatte die Staatsanwaltschaft Ulm ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Betrug, Untreue und Bestechlichkeit gegen Verantwortliche von Ratiopharm sowie Ärzten bereits im Dezember 2005 eingestellt. Erst wenn sich aus den Überprüfungen der Krankenkasse neue Erkenntnisse ergeben sollten, werde entschieden, ob das Verfahren wieder aufgenommen werden müsse, sagte Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Wolfgang Zieher.
Ratiopharm-Sprecher Jörg Nitschke wies gestern erneut alle neuen Vorwürfe zurück, da sie keine strafrechtliche Relevanz hätten. In der Vergangenheit seien in Einzelfällen schon mal Werbemittel, wie Kaffeemaschinen, an Ärzte verteilt worden, sagte Nitschke. Dieses sei aber abgestellt worden.

Artikel vom 08.03.2006