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Russische Seele mit kosmopolitischem Herz

Mischa Maisky und Pavel Gililov bei Pro Musica

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Es gibt dieses Klischee von der russischen Seele, dieser Mischung aus Leidenschaft und Melancholie, die in den Liedern und Romanzen des russischen Volkes ebenso verankert ist wie in ihren Herzen. Ein bisschen hat Mischa Maisky dieses Klischee bei seinem Auftritt im Pro Musica-Konzert bestätigt und zugleich widerlegt.

Bestückt mit »Russian Romances« kehrt der 1948 in Lettland geborene Star-Cellist in kongenialer Übereinkunft mit dem aus Russland stammenden Pianisten Pavel Gililov den Weltbürger heraus, ohne dass beide ihre Wurzeln verleugnen.
Maisky, der sich zuvor eingehend mit der französischen und deutschen Liedtradition beschäftigt hat, transformiert nun die russischen Lieder, indem er die Gesangsstimme aufs Cello überträgt, ohne gravierende Eingriffe in die musikalische Struktur vornehmen zu müssen. Sein Liederabend-Programm enthält Werke von Mikhail Glinka, Peter Tschaikowsky, Anton Rubinstein, Nikolai Rimsky-Korsakow, Cesar Cui, Alexander Glasunow und Sergei Rachmaninow und damit eine enorme emotionale Tiefe, lässt aber stilistische Abwechslung vermissen. Seine Begründung leuchtet ein: »Ich brauche als Künstler wie als Mensch keine Abwechslung, wenn ich etwas liebe.«
Eine dreiviertel Stunde weint, schluchzt, säufzt und singt er sich aus und breitet mit empfindsamer musikalischer Sprache eine Seelenlandschaft aus, die universell ist und doch Raum für individuelle innere Bilder einräumt. Sein Ton ist zudem hinreißend: lyrisch-gesanglich, zart, vibrationsreich, vollmundig rund wie ein guter Wein, dann wieder von intensiver Leidenschaft durchtränkt. Das Spektrum seiner Ausdrucksnuancen lässt zudem keine Wünsche offen und wirkt doch nie aufdringlich. So schafft er es tatsächlich, russische Romanzen mit »kosmopolitischem Anstrich« zu spielen, sich seiner Wurzeln zu bedienen und zugleich der Weltbürger zu sein, zu dem er sich bekennt.
Dennoch, nach all dem Schachten und Schwelgen tut Schostakowitsch Sonate in d-Moll op. 40 für Cello und Klavier dem Ohr gut. Und sie bietet Gililov endlich auch Gelegenheit, pianistische Raffinesse zu zeigen -Êvon perlenden Läufen über hohes Diskantgeklingel bis hin zu griffigen Akkordkaskaden. Vor allem aber ist das Duo d'acord, wenn es darum geht, den suchenden, wütenden, verstörenden, zerrissenen und parodistischen Tonfall der Sonate zu treffen. -Ê Tosender Beifall und drei »Mütterchen Russland« für den Heimweg.

Artikel vom 08.03.2006