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Zwei Seiten Wirtschaft ein Spiegel der Region


Von Dr. August Oetker
In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war der oft zitierte Satz des Außenministers Walther Rathenau, nicht die Politik, sondern die Wirtschaft sei unser Schicksal, eine neue und irritierende Erkenntnis.
Die historische Entwicklung zeigte aber bald, dass Rathenau recht hatte. Die Hitler-Diktatur hätte es ohne die bedrohliche Massenarbeitslosigkeit nicht gegeben. Auch der weitere Gang der deutschen Geschichte bewies die Richtigkeit des Satzes. Die DDR ging an ihrer Staatswirtschaft zugrunde.
Heute haben viele verstanden, dass ohne florierende Wirtschaft fast nichts im Staate richtig funktioniert. Von der Wirtschaft und ihrem Zustand sind eben alle in irgendeiner Form abhängig.
Vor diesem Hintergrund wäre es wünschenswert, wenn noch mehr Bürger wirtschaftliche Grundkenntnisse hätten. Sie könnten Zusammenhänge besser verstehen und Entscheidungen sicherer treffen.
Welchem Politiker soll man bei der Wahl die Stimme geben? Dem, der mit den Gewerkschaften argumentiert, die mit höheren Löhnen den Konsum beleben wollen, oder dem, der mit den Arbeitgebern auf die Kostenbelastung der Betriebe durch zu hohe Löhne hinweist, weil dadurch Arbeitsplatzabbau droht?
Eine Wirtschaftskunde, die ökonomische Zusammenhänge klar macht, wird an unseren Schulen nicht überall angeboten. So ist die größer gewordene Zahl der Interessenten oder Neugierigen weitgehend auf die Medien angewiesen. Fernsehen und Hörfunk bieten einige Wirtschaftsmagazine an, doch die Beiträge hören spätestens dann auf, wenn es um kleine und mittlere Unternehmen geht.
Da ist es zu begrüßen, wenn Regionalzeitungen ihrer Wirtschaftsberichterstattung mehr Raum geben. Das WESTFALEN-BLATT hat es getan. Seit geraumer Zeit umfasst der Wirtschaftsteil zwei Seiten. Das ist für eine Tageszeitung, die viele Erwartungen erfüllen muss, ein ordentlicher Umfang. Dies geschah sicher auch im eigenen Interesse, denn die Leser - zugleich Arbeitnehmer, Konsumenten und Anleger - wollen heute mehr über die Lage von Konzernen wissen, die volkswirtschaftliche Bedeutung haben, und mindestens so viel über Unternehmen ihres Raumes. Die Wirtschaftsseiten einer Tageszeitung müssen heute mehr Ansprüche aus sehr heterogenen Leserkreisen erfüllen.
Wo erhält man, wenn man kein Fachblatt bezieht, sonst Informationen über die Entwicklung, vielleicht auch über besondere Leistungen der mittelständischen Unternehmen des Raumes, wenn nicht in der regionalen Tageszeitung? Als Ergänzung zum Wirtschaftsteil erscheinen außerdem viele Beiträge, die sich im Lokalteil der Ausgabe mit Firmen beschäftigen.
Die Lieferanten und Geschäftspartner, der Einzelhandel, die lokale Politik, die Familien der Beschäftigten - sie alle wollen erfahren, wie es um die Firma steht und wie die Zukunft des Unternehmens einzuschätzen ist, die ja auch sie mittelbar oder unmittelbar berührt.
Ostwestfalen hat viele interessante Betriebe, gerade im mittelständischen Bereich, der diese Region auszeichnet. Im viertgrößten Wirtschaftsraum Deutschlands werden nicht nur Produkte und Dienstleistungen, sondern auch täglich Wirtschaftsnachrichten produziert, die die Regionalzeitung widerspiegeln muss. Hier finden sich, auch zur Überraschung vieler Einheimischer, sogenannte Hidden Champions, die große wirtschaftliche Bedeutung haben, die ihre Spezialmärkte beherrschen und die oft international agieren. Eine Möbelbranche von Weltruf, eine Forschungslandschaft mit 13 Hochschulen und zahlreiche Betriebe der Gesundheitswirtschaft sind weitere Kennzeichen einer Region, der der Strukturwandel besser gelungen ist als den meisten Industrieregionen Nordrhein-Westfalens.
Die Wirtschaftsredaktion des WESTFALEN-BLATTES trägt all dem Rechnung. Sie kennt die Handelnden in der Wirtschaft oft aus langjähriger Begleitung. Sie besitzt die Fachkompetenz, die Firmenaussagen richtig einzuschätzen, zu überprüfen und sie in gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge einzuordnen. Allerdings kann zu viel Nähe, zu viel Vertrautheit mit dem Gegenstand der Berichterstattung das Urteil beeinflussen. Deshalb hält die Redaktion immer eine gewisse Distanz.
Vertraulichkeiten gibt es nicht. Wie Erfahrungen zeigen, ist die Redaktion fair, aber nicht unkritisch. Wo es Probleme gibt, werden diese genannt. Das schafft die Glaubwürdigkeit, die die Zeitung braucht. Das WESTFALEN-BLATT hat sie sich erarbeitet.

Artikel vom 15.03.2006