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Im Lokalteil schlägt das Herz

Maria Unger, Bürgermeisterin in Gütersloh, schätzt lokale Themen.

Von Maria Unger, Bürgermeisterin Gütersloh
Mit dem täglichen Blick in die Tageszeitung beginnt der Arbeitstag bereits am Frühstückstisch. Die Reihenfolge ist klar festgelegt. Zuallererst das Lokale...! Das erwartet man vielleicht von einer Bürgermeisterin, aber diese Lesegewohnheit hat bei mir eine lange Tradition.
Wo schon ist die Welt so bunt und so nah wie im Lokalen - auf »meinen Gütersloher Seiten«. Als wir vor fast 30 Jahren nach Gütersloh zogen, waren die Lokalseiten mein erster Blick auf die neue unbekannte Stadt.
Wir hatten uns - wegen der Mietangebote - die einschlägigen Tageszeitungen zuschicken lassen und machten uns über die Geschichten und Meldungen mit Gütersloh vertraut: mit Namen, die wir noch nie gehört hatten und daher beim ersten Lesen für einen Druckfehler hielten (heute weiß ich, dass Ottovordemgentschenfelde eine ganze Dynastie bezeichnet), mit Berichten über Schützenvereine und einen Fußballverein, der immerhin recht hochklassig spielte.
Wir erfuhren, dass der Stadtdirektor hier Wixforth hieß, noch gar nicht so alt war, aber doch schon auf eine lange Amtszeit zurückblicken konnte. Im Rat - so ließ sich aus der Ausschuss-Berichterstattung folgern - hatte die CDU das Sagen, und auf dem Berliner Platz fanden unter einem imposanten Zeltdach fröhliche Feste statt. Kurzum: Der Lokalteil lieferte mir das ganze Spektrum dieser Stadt im Zeitraffer.
Dazu noch, auch das ein wichtiger Service für »Zugereiste«, eine Auswahl von Gruppen, Vereinen und Initiativen, VHS und Familienbildungsstätte, durch deren Angebote man schnell andere Menschen kennenlernen konnte. Auf diese Weise habe ich auch erfahren, dass die SPD zu kommunalpolitischen Stammtischen einlud. Ein Thema hat mich interessiert, ich ging hin - und kam nicht wieder los von der Politik.
Was damals galt, ist heute noch aktuell, wenngleich sich die medialen Möglichkeiten (man denke nur an den Farbdruck) erweitert haben: Der Lokalteil ist ein Spiegel der Gesellschaft - und bei weitem nicht nur der Stadtgesellschaft. Er ist nach den kommentierenden Beiträgen im Überregionalen der wohl individuellste Teil der Zeitung, denn er zeigt am deutlichsten die Handschrift derer, die hier Beiträge verfassen - nah am Geschehen, täglich im Einsatz und oft mit einem größeren Erfahrungsschatz bei den Entwicklungen in dieser Stadt als wir Kommunalpolitiker.
Dafür stehen sie - nicht selten direkter als ihre Kollegen im »Mantel« - im Blickpunkt von Kritik und Anerkennung. Der Draht ist kurz, man läuft sich häufig über den Weg - über »feed back« muss ein Redakteur im Lokalen vermutlich nicht klagen.
Inzwischen durfte ich viele Kollegen und Kolleginnen hier am Ort kennen lernen. Von einigen kann ich schon sagen, ich habe ihren Berufsweg seit dem Volontariat mit verfolgt.
Meine Hochachtung vor ihrer Arbeit ist dadurch nur gestiegen. Das sage ich aus voller Überzeugung, ohne verhehlen zu wollen, dass manchmal das Brötchen im Halse stecken bleibt, wenn die Überschrift einen »Skandal« in Politik oder Verwaltung ahnen lässt. Dass der Text dann den schrillen Ton des Titels wieder auf ein sachliches Maß zurückführt, ist ebenso eine Erfahrung, die an manchen Tagen zum Ritual am Frühstückstisch gehört. Und im Verlag wird mir wohl niemand widersprechen, wenn ich feststelle, dass es gerade das WESTFALEN-BLATT zu einer gewissen Meisterschaft im Formulieren pointierter »Headlines« gebracht hat.
Auf 27 Lokalausgaben kann das WESTFALEN-BLATT an seinem 60. Geburtstag verweisen. Das finde ich beachtlich und auch zukunftsweisend. Im Lokalen schlägt für mich das Herz einer Regionalzeitung.
Und wenn von der vielstrapazierten Leser-Blatt-Bindung die Rede ist, dann ist ebenfalls das Lokale ganz vorn - auch und gerade im Zeitalter einer unglaublichen Medienvielfalt, die uns unzählige Möglichkeiten der Information eröffnet und uns doch zuweilen ratlos damit zurücklässt. Da bringt das Lokale die notwendige Erdung.

Artikel vom 15.03.2006