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»Uns einte ein großer
Schatz des Vertrauens«

Willy Brandts Sohn Lars las in der »Thalia«-Buchhandlung


Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Der »Mythos Willy Brandt« hat nichts von seiner Strahlkraft verloren: Vor etwa 150 Zuhörern las gestern in der »Thalia«-Buchhandlung Lars Brandt (55), der mittlere der drei Söhne des berühmten SPD-Kanzlers aus seinem Buch »Andenken«.
»Mein Vater hat mich als Anarchisten bezeichnet - und das ist nicht ganz falsch«, gestand der in Bonn lebende Publizist im Gespräch mit dem WESTFALEN-BLATT. Lars Brandt ist erfreut über das lebhafte Interesse der Leser an diesen 100 Miniaturen, und mit dem gelegentlich zu hörenden Vorwurf, das Politische komme zu kurz, kann er gut leben: »Ich erwähne doch, dass ich Reden für meinen Vater schrieb, aber ich wollte vor allem zeigen, was ich mit ihm erlebt habe - also das, was ich selbst gut beurteilen kann.«
Die stilistisch überdurchschnittliche Beschreibung einer von einem übermächtig scheinenden Vater dominierten Kindheit atmet durchaus Sympathie. »Ich litt nie unter übergroßer Distanz, aber wir hatten ein ambivalentes Verhältnis zueinander, das sich wohl am besten durch einen großen Schatz an gegenseitigem Vertrauen definiert.« Was andere, auch die politische Wissenschaft, über Willy Brandt schreibt, nimmt der Sohn höchstens am Rande - »aber ohne Kritik« - zur Kenntnis. »Wie mein Vater zum Mythos werden konnte, erschließt sich mir deshalb nicht.«
Als Lars Brandt, der mit dem »Andenken« schon jahrelang schwanger gegangen war, erst die Idee hatte, die Facetten der Persönlichkeit des Vaters in knappen Skizzen offenzulegen, schrieb sich das Buch wie von selbst. »Ich musste nichts recherchieren, sondern konnte frei aus meinen Erinnerungen schöpfen.« Und die zweite Grundidee des überraschend schmalen Bandes - manche hatten Voluminöseres über den »Vater der Ostpolitik« erwartet - ist die Übertragung von Begriffen aus der Bildenden Kunst (»Kubismus«) auf die literarische Ebene.
Was denkt die Familie über das Buch? »Wir sind übereingekommen, dass jeder sagen und tun darf, was er will - keiner redet dem anderen in seine Arbeit hinein.« Lars Brandts Ehefrau immerhin las als erste das Manuskript und ermutigte ihn, es zu veröffentlichen.
Lars Brandt: »Andenken«; Carl-Hanser-Verlag München 2006, 160 Seiten; 15,90 Euro.

Artikel vom 07.03.2006