07.03.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Alte Film-Schätzchen locken Kinofreak

Frank Becker hat größtes Filmarchiv in NRW - Nachschub aus Nachlass von »Atze« Brauner

Von Ulrich Hohenhoff (Text)
und Markus Poch (Foto)
Brackwede (WB). Er ist der »Kino-Papst« von Brackwede, besitzt das größte private Kino-Filmarchiv in Nordrhein-Westfalen und ist immer auf der Suche »nach allem, was mit Kino zu tun hat.« Erst vor einigen Tagen hat Frank Becker (45) wieder Nachschub bekommen. Aus dem privaten Filmarchiv eines Tontechnikers des legendären Produzenten »Atze« Artur Brauner holte er wahre Schätzchen aus den 50er Jahren von Berlin nach Brackwede.

Darunter Klassiker wie »Der Graf von Luxemburg«, »Dr. Mabuse« und jede Menge »Heinz Rühmann«-Streifen. Eine Bereicherung für das Filmarchiv des Brackweders, in dessen wohl temperierten Räumen mittlerweile mehr als 30 000 Rollen Filmmaterial, 10 000 Audio-Magnetbänder, 15 000 Schallplatten, 4000 CDs, alte Kameras und Vorführgräte sowie Plakate und jede Menge Filmutensilien lagern. Eine besondere Kostbarkeit ist der Stummfilmstreifen »Die weisse Hölle vom Piz Palü« mit Leni Riefenstahl, Gustav Diessl und Ernst Udet, der zur Eröffnung des ersten Brackweder Kinos, der »Lichtburg«, im November 1930 aufgeführt wurde. Zwar waren in dem Kino die technischen Vorrichtungen für Tonfilme bereits installiert, doch der Premierenfilm lief nur als Stummfilm, da in dessen Produktionsjahr die Tonfilmtechnik noch nicht ausgereift war. »Die weisse Hölle vom Piz Palü« erlebte die vertonte Premierenauffühung erst 1935 im Ufa-Pavillon am Nollendorfplatz in Berlin. Im Mai 2005 kehrte der Premierenfilm nach Brackwede zurück: Frank Becker hatte eine Original 35mm-Nitro-Kopie der Tonfilmfassung von 1935 aufgetan, bestehend aus fünf Rollen und in einem hervorragenden Zustand. Das erste Brackweder Kino »überlebte« nicht. Es wurde durch einen alliierten Bombentreffer im Frühjahr 1945 zerstört. Heute befindet sich dort der Treppenplatz.
Frank Becker, der als Jugendlicher zum ersten Mal mit dem Thema Film, dessen Technik und Filmtheater in Berührung kam, hat seitdem seine Begeisterung für das Medium nicht verloren. So weiß er sehr genau Bescheid über die »Kinohochburg Brackwede«, als es hier neben der »Lichtburg« noch die »Schauburg«, das »Zentraltheater« und das »Melodie» gab. Und der Filmfreak sammelt alles, was sich um Brackweder Lichtspielhäuser dreht. Egal, ob es alte Filmprojektoren, Kameras, Eintrittskarten oder Ausstattungen sind. Jüngste Errungenschaft sind Original-Lampen aus der Saalbeleuchtung und Bakelitschalter- und Steckdosen aus dem ehemaligen »Melodie«, das zwischendurch zur Diskothek »EuroClub« umfunktioniert wurde, eine Zeit lang leer stand und jetzt das neue Postverteilzentrum beherbergt. Beim Herumkrabbeln auf dem alten Spitzboden wurde Frank Becker fündig: Neben alten Schaltern fiel ihm auch noch eine Illustrierte in die Hände. Deren Titel drehte sich um die legendäre Affäre aus den 60er Jahren des damaligen britischen Heeresministers John Profumo mit dem Mannequin Christine Keeler.
Das Film-Archiv von Frank Becker hat europaweit einen guten Namen. Nicht nur, dass Fernsehsender gern auch mal auf alte Wochenschauen und Filme zurückgreifen, auch spezielle Wünsche erfüllt der Brackweder gern. So etwa, als Kinomogul Hans Joachim Flebbe seinem Ehrengast Peter Ustinov zwei Wunschfilme versprochen hatte. Und die gab es nur im Brackweder Archiv. Frank Becker, der in Brackwede das »Melodie« in der Aula der Realschule neu belebt hat: »Sir Peter hat sich später persönlich bei mir bedankt.«

Artikel vom 07.03.2006