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Böhmische Dörfer? »Meine
Heimat ist wunderschön«

WM-Paten im WESTFALEN-BLATT (Folge 3): Tomas Vratnik aus Tschechien

Von Dirk Schuster (Text)
und Stefan Hörttrich (Foto)
Bielefeld (WB). Arminias tschechische Profis, sie bedeuten für Tomas Vratnik ein Stück Heimat. Und Vratnik gibt den Spielern etwas davon zurück. So oft er kann, besucht der Bielefelder die Fußballer beim Training. Immer in seinem Handgepäck: die Nationalflagge. »Tschechien«, meint Vratnik, »kann bei der WM ins Finale kommen.«

Vratnik ist bei weitem nicht der einzige Tscheche, der fest an die Nationalmannschaft glaubt. »Die Leute in meiner Heimat sind überzeugt, dass wir ein starkes Turnier spielen werden«, sagt er. »Jan Koller, Pavel Nedved, David Rozenahl - das sind fantastische Fußballer.«
Fußball ist Vratniks Hobby, Eishockey war nach dem Abitur lange sein Beruf. In seiner Geburtsstadt hat er als Verteidiger für Skoda Pilsen gespielt, auch bei Sparta Prag. 20 Jahre war er Profi, heute erinnert ihn Tag für Tag besonders sein kaputtes Knie an seine Karriere. »Wäre ich 25 Jahre jünger, könnte ich mit diesem Job gutes Geld verdienen.« Vratnik ist 47 und zurzeit ohne Arbeit.
In Bielefeld betrieb er einen Imbiss, der eine Zeit lang prima lief. »Deutsche, griechische und natürlich tschechische Spezialitäten. Die Leute sind gerne gekommen, haben sich wohl bei mir gefühlt. So etwas würde ich gerne wieder machen. Aber dazu bräuchte ich ein Startkapital.«
Und warum versucht er es nicht als Eishockeytrainer? Seine Gesundheit lässt nicht zu, dass sich Vratnik wieder auf die Kufen wagt. Seit er beim Inline-Skating böse gestürzt ist, leidet er unter einem Bandscheibenvorfall. Und seit er vom Pferd gefallen ist, ist er Asthmatiker. Von den Brüchen und Verletzungen, die er sich während seiner Sportlerkarriere zugezogen hat, ganz zu schweigen. Ein hoher Preis für eine schöne Zeit als Profi.
Vratniks weiterer beruflicher Werdegang sah anders aus. »Viereinhalb Jahre habe ich in Kladno im Bergwerk geschuftet. Mein lieber Mann, war das eine Knochenarbeit«, tut Vratnik jetzt noch der Rücken weh, wenn er daran zurückdenkt.
Über Lausanne in der Schweiz fand er den Weg nach Deutschland, lebte bei einem befreundeten Arzt in Münster, ehe er nach Bielefeld zog. Trotzdem: Seine große Liebe war, ist und bleibt Tschechien. »Das Land ist wunderschön, mit viel Natur, vor allem Wäldern. Lipno, Budweis, Cesky Krumlov - das sind herrliche Reiseziele«, schwärmt Tomas Vratnik. In ein paar Jahren möchte er gern nach Tschechien zurück kehren. »Nach Pilsen, in meine Heimat. Aber erst, wenn meine Tochter groß ist«, sagt er und holt sein Handy hervor. Alenas (14) hübsches Gesicht ist das Hintergrundbild auf seinem Telefon. »So kann ich sie immer sehen«, sagt der stolze Papa.
Die Fußball-Weltmeisterschaft wird für Vratnik eine Fernseh-WM. Vielleicht klappt's ja noch mit einem Ticket für ein Spiel der Tschechen. Doch wenn nicht, wäre das auch nicht so schlimm. Denn Vratnik sind einige Fußballfans nicht geheuer. »Die sind ganz anders als die Eishockey-Anhänger. Als 2001 in Deutschland die Eishockey-WM war, haben die finnischen den tschechischen Fans nach dem Finale zum Gewinn der Goldmedaille gratuliert«, erinnert sich Vratnik. Im Eishockey sei der Sportsgeist enorm ausgeprägt, im Fußball seien solche Gesten dagegen eher selten. Vratnik erzählt von seinem krassesten Erlebnis als Fußball-Fan: In Bielefeld auf dem Trainingsgelände der Arminia habe ein deutscher Fan ihm sogar mal auf seine Fahne urinieren wollen. »Da haben die anderen Zuschauer eingegriffen und ihn in letzter Sekunde davon abgehalten.«
An seiner Fußball-Leidenschaft habe dieser Vorfall aber nichts ändern können. Vratnik spielte früher selbst. Angeln zählt wie bei vielen Tschechen ebenfalls zu seinen Hobbies. Er weiß, dass auch Arminia-Profi Radim Kucera leidenschaftlich gern fischen geht. Vratnik sagt: »Es bedeutet mir viel, mit den Bielefelder Fußballern in Kontakt zu sein.« Doch nicht, weil er zu ihnen aufschaue, sondern deshalb, weil sie seine Landsleute seien und überhaupt keine Allüren hätten.
Und wirklich winken Petr Gabriel, Radim Kucera, Kamil Vacek und David Kobylik ihm schon von weitem zu, wenn Vratnik sie auf dem Trainingsplatz besucht. Kein Wunder, mit seiner Fahne ist er ja auch nicht zu übersehen.
Der Klassenerhalt seiner Landsmänner mit der Arminia, eine erfolgreiche WM der Tschechen - Tomas Vratnik hat aber noch einen ganz anderen Traum. »Ich habe Bekannte in Australien. Sie leben in Newcastle. Ich möchte sie dort unbedingt besuchen.« Im Sommer kommt Australien ja erst einmal nach Deutschland. Die Weltmeisterschaft macht's möglich.

Artikel vom 10.03.2006