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Weltmacht China lässt die Muskeln spielen

Militäretat steigt - soziale Probleme verschärfen sich

Von Andreas Landwehr
Peking (dpa). Die starke Steigerung des Militärhaushalts zeigt eindeutig, wo Chinas Führer ihre Prioritäten setzen. Es ist nicht nur eine Warnung an Taiwan, sondern untermauert einmal mehr den Anspruch der aufstrebenden Weltmacht, sich international mehr Respekt zu verschaffen.

Nicht umsonst sieht das Pentagon in China erstmals das »größte Potenzial«, die USA militärisch herauszufordern. China investiere massiv ins Militär, vor allem in sein strategisches Arsenal und seine Fähigkeit, »außerhalb seiner Grenzen seine Macht zur Geltung zu bringen«, heißt es im neuen US-Verteidigungsbericht. So überschatten die chinesische Aufrüstung und die neuen Spannungen mit der demokratischen Inselrepublik, die sich der Wiedervereinigung mit den Kommunisten widersetzt, auch den diesjährigen Volkskongress.
Unter dem tosenden Applaus der knapp 3000 Delegierten warnt Regierungschef Wen Jiabao: »Wir werden uns kompromisslos den spalterischen Aktivitäten widersetzen, die auf eine Unabhängigkeit Taiwans zielen.« Doch lenkt dieser Streit viel zu sehr davon ab, dass es eigentlich an der Heimatfront brennt. Deutlich spürbar wendet sich Wen Jiabao gestern mit seinem Rechenschaftsbericht vor allem an das heimische Publikum. Denn der marktwirtschaftliche Umbau in China hat die Einkommensschere immer weiter auseinander gehen lassen, so dass sich zunehmend Unmut rührt und erstmals seit Anfang der 90er Jahre sogar wieder der Reformkurs an sich in Frage gestellt wird.
»Wir sorgen uns, dass die Reformen abgelehnt werden, nur weil es bestimmte Probleme gibt«, sagt der Delegierte Li Wuwei aus dem reichen Schanghai bei einer Tasse Tee. »Die Kluft zwischen Arm und Reich gibt es nicht, weil die Marktwirtschaft eingeführt wurde«, argumentiert er. »Es gibt sie, weil die Marktwirtschaft noch nicht weit genug entwickelt wurde.« Deswegen versucht der Ministerpräsident auch, den Sorgen und dem Ärger mit Verständnis zu begegnen. Den Bauern verspricht er höhere Einkommen und weniger Abgaben. Ihre medizinische Versorgung soll verbessert, die Schulen sollen billiger werden. Der Ausbau der Infrastruktur, von dem bisher meist Städte profitierten, soll in den ländlichen Raum umgelenkt werden.
Wen Jiabao zeigt Verständnis für Proteste wegen unangemessenen Entschädigungen nach Land-Enteignungen und beklagt »Verstöße gegen Vorschriften« durch lokale Funktionäre. Dem empörten Mittelstand in den Städten, der sich ärztliche Hilfe kaum noch leisten kann, verspricht er Preiskontrollen und billigere kommunale Kliniken. Der Ministerpräsident, der seit zehn Jahren bei Reisen immer noch die selbe Windjacke trägt, präsentiert sich als bescheidener Diener seines Milliardenvolkes. Zwei Stunden lang verspricht er, dass alles besser wird, und zeigt, dass er nur zu gut weiß, wo der Schuh drückt.
Doch wiederholt er oft nur Versprechen, die jedes Jahr vor dem Volkskongress zu hören sind und deren Umsetzung genau dort scheitert, wo auch die Gelder aus Peking immer verschwinden - im veralteten kommunistischen System und auf lokaler Ebene in den Taschen korrupter Funktionäre. Seine schönen Worte können auch nur schwerlich darüber hinweg täuschen, dass der Zuwachs im Militäretats mit 14,7 Prozent wie jedes Jahr wieder eine Spitzenstellung einnimmt - »damit die Armee effektiv ihren historischen Auftrag erfüllen kann«, sagt Wen Jiabao und kommt auffallend schnell auf Taiwan und die »friedliche Wiedervereinigung« zu sprechen, »die niemand aufhalten kann«.

Artikel vom 06.03.2006