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Feinste Klangmassage

Verdis »Nabucco« konzertant am Theater Bielefeld

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Wozu nach Mailand reisen? Hinreißenden Belcanto, allerfeinste Klangmassage und sogar eine Diva wie frisch von der Scala gibt's auch am Theater Bielefeld, wo Giuseppe Verdis Oper »Nabucco« in konzertanter Aufführung das Premierenpublikum in der Oetkerhalle von den Stühlen riss.

Einzig die Bravo-Zwischenrufe klingen auf Ostwestfälisch dann doch nicht so schön wie in Bella Italia. Dafür entfachen Chor und Orchester, Ensemble und Gäste von Anfang an eine einnehmende Sogwirkung.
Die musikdramatische Sprache schafft ihre eigenen Bilder im Kopf und kommt somit ganz ohne Kulissen und spektakuläre Tableaus aus. Erfreulich auch: Bei aller Rohheit und Leidenschaft des Stoffs -Êschließlich geht es um Zerstörung, Gewaltherrschaft sowie den »rechten« Glauben - und seiner plakativen Formgebung in der Musik gelingt eine feinnervige Nachzeichnung, die den musikalischen Affekt nie um des Affekts wegen pflegt, sondern nach reichem, reinen Ausdruck strebt.
Was nicht weiter verwundert, denn wer wie Alexander Marco-Buhrmester (Nabucco) nicht in Bayreuth oder Berlin ein gefragter Gast ist, singt tatsächlich immer mal wieder am Mailänder Opernhaus. Alexander Teliga etwa, der den Hohepriester der Hebräer mit prophetischer Inbrunst und göttlicher Stimmkraft gibt. Man muss diesem Bass, der so wohlgerundet, kraftstrotzend und doch geschmeidig daher kommt, einfach glauben, dass die Israeliten aus ihrer Knechtschaft der Babylonier befreit werden, weil Nabucco am Ende die unbesiegbare Macht Jehovas anerkennen muss. Die Stadien, die der zuvor durchläuft, verkörpert Marco-Buhrmester gesanglich wunderbar eindringlich: Nobel im Ton, nuanciert im Ausdruck und ungemein einfühlsam ist er als rachsüchtiger Tyrann ebenso überzeugend wie der vom Wahnsinn befallene König, der liebende Vater und der Geläuterte.
Eine Stimmwunderrakete von dramatischem Sopran feuert Nana Miriani als Abigaille ab, verknüpft mit divenhaften Posen. Verschmähte Liebe macht böse, was die Miriani in furiosen Koloraturen authentisch herüberbringt.
Vom Traumpaar Ismaele (Francesco Petrozzi: ein Belcanto-Tenor zum Dahinschmelzen) und Fenena (Kaja Plessing: sich einfühlsam und klangschön neben ihrer Rivalin behauptend) bis hin in die Nebenrollen ist die Oper prächtig besetzt und ein echtes Sängerfest.
Einen maßgeblichen Anteil daran hat der von Hagen Enke auf Wandlungsfähigkeit einstudierte Chor, der das sehnsüchtige »Va pensiero« mit tiefster Innigkeit gestaltet und gewaltige Ausbrüche wie auch zerknirschtes Geflüster mit großem Nuancenreichtum und Klangsinnlichkeit schmückt.
Als Garant dafür, dass die mitreißende Kraft und Schönheit der Musik nicht in plakativer Belanglosigkeit untergeht, steht Kevin John Edusei. Am Pult der mit enormer Präzision aufspielenden Bielefelder Philharmoniker weiß Bielefelds erster Kapellmeister Tempi, Dynamik und Klänge so variabel zu formen und damit zu jonglieren, dass Staunen und Lust beim Hörer Hand in Hand gehen.

Artikel vom 06.03.2006