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Kunst und Zeitung

Anfänge der Kunsthalle Bielefeld auch 1946

Von Thomas Kellein,
Kunsthalle Bielefeld
Der Anfang war vom Wiederaufbau und der Rückbesinnung auf kulturelle Tugenden geprägt: »Mit dem Namen Bielefeld verbindet sich für viele Menschen seit je der Begriff von Wäsche und Leinen«, hieß es 1949 in einem kleinen Ausstellungskatalog, der der Buchkunst gewidmet war.
Thomas Kellein, Leiter der Kunsthalle Bielefeld

Aus der Leinenstadt war innerhalb weniger Jahrzehnte das Zentrum Ostwestfalens mit 130 000 Einwohnern geworden, in dem es auch eine Nähmaschinen-, Fahrrad- und Autoindustrie, Maschinenfabriken, graphische Betriebe und einige Verlage gab. Der Lebensmittelkonzern Dr. August Oetker sollte seine führende Bedeutung etwas später erlangen.
Ausstellungen von Kunst in der zerbombten Stadt waren ganz zu Anfang nur »in den repräsentativen Räumen der Oetkerhalle« möglich. Die britische Militärregierung und die Bürger waren einer Meinung, dass es neben der Theologischen Schule in Bethel, dem Predigerseminar und einer namhaften Pädagogischen Akademie auch wieder gute Kunst geben sollte. Der Gymnasiallehrer Dr. Heinrich Becker und ein Ausschuss wurden dazu wie vor 1933 mit dem Ausstellungsprogramm betraut.
Becker nutzte seine Kontakte zu Käthe Kollwitz, um 1946, kurz nach ihrem Tod, ihr großartiges Werk neuerlich in Bielefeld zu zeigen. 1951 folgten Ausstellungen mit Lovis Corinth und Emil Nolde, und noch im gleichen Jahr stiftete Rudolf August Oetker der Stadt zwei wichtige Gemälde von Corinth und Nolde, die die Grundlage der späteren Kunsthallensammlung bilden sollten.
Einige Jahre später wurde beschlossen, mit Gustav Vriesen erstmals einen bezahlten städtischen Museumsleiter anzustellen. Vriesen erwarb 1955 Max Beckmanns »Mutter mit spielendem Kind«, ein bis heute zu den Schätzen der Kunsthalle zählendes Werk, und er ebnete den Weg zur Internationalisierung des Ausstellungsbetriebs. 1958 richtete er der Pariser Künstlerin Sonia Delaunay eine Retrospektive ein, wodurch Werke von ihr und dem Ehemann Robert Delaunay nach Bielefeld gelangten.
Nur ein Jahr später wurde eine zweite wegweisende Stiftung durch Rudolf August Oetker beschlossen: Der Unternehmer vereinbarte mit dem damaligen Oberbürgermeister Artur Ladebeck, einen Architekten auszuwählen und sämtliche Kosten eines Museumsneubaus in Bielefeld zu tragen. 1960 verstarb Vriesen unerwartet, und Joachim Wolfgang von Moltke folgte ihm nach. Schon 1962 trafen der neue Museumsdirektor und Oetker in New York auf den amerikanischen Baumeister und Sammlungsleiter für Architektur am Museum of Modern Art, Philip Johnson, um ihm nach einigen Planungsschritten den Direktauftrag für die Kunsthalle Bielefeld zu erteilen. Von Anbeginn sollte das Gebäude den später umstrittenen Namen Richard Kaselowsky Haus tragen.
Auch hinsichtlich der Sammlung standen die 1960er Jahre unter einem guten Stern. Direktor von Moltke sicherte mit dem städtischen Ankaufsetat und Landesmitteln besonders wichtige Meisterwerke: Von 1961 bis 1965 wurden Gemälde von Erich Heckel, Alexej von Jawlensky, Ernst Ludwig Kirchner, August Macke, Laszlo Moholy-Nagy, Otto Mueller und Karl Schmidt-Rottluff ebenso wie ein weiteres Bild von Nolde erworben.
Mit dem Johnson-Bau begann eine deutlich glanzvollere Ausstellungspolitik. Man sah zur Eröffnung die vorbildliche Sammlung von Morton D. May aus St. Louis. Von den 1970er Jahren an wurden Beckmann, Kandinsky oder Klee mit Einzelausstellungen geehrt. Den nationalen und internationalen Ruf eroberte sich die Kunsthalle dann im folgenden Jahrzehnt mit einer Reihe von Picasso-Ausstellungen, die Ulrich Weisner, Nachfolger von Moltkes, organisierte. »Die Todesthemen«, Picassos »Kubismus« und »Surrealismus« sowie seine »Letzten Bilder« machten bis 1993 den Johnson-Bau in Deutschland immer wieder zum Tagesgespräch.
Seit 1996, also bereits ein Jahrzehnt lang, habe ich die Ehre und das Vergnügen gehabt, die Bielefelder Kunsthalle zu leiten. Anfangs gab es gravierende Geldprobleme zu lösen, denn die Stadt sah sich nicht mehr in der Lage, Ankaufsmittel oder ein minimales Ausstellungsbudget zur Verfügung zu stellen.
Auch die bereits beschlossene bauliche Erweiterung durch den Stararchitekten Frank O. Gehry wurde zu Anfang meiner Tätigkeit ohne große Begründung storniert.
1999 stimmte die Stadt jedoch dem Modell einer gemeinnützigen Betriebsgesellschaft und einer baulichen Sanierung zu, die dem Museum seine Unabhängigkeit und eine Erfolgsorientierung sichern sollte. Neue Stifter, neue Leihgeber und der deutlich wachsende Förderkreis standen uns seitdem zur Seite. Mit Caspar David Friedrich, Kasimir Malewitsch, Edward Munch und zahlreichen Expressionismusausstellungen, aber auch mit Donald Judd oder Louise Bourgeois hat die Kunsthalle so regelmäßig für Ausstellungserlebnisse mit internationaler Ausstrahlung gesorgt.

Artikel vom 15.03.2006