04.03.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Justiz steht es Oberkante Unterlippe

Richter und Staatsanwälte protestieren auf dem Jahnplatz gegen Personalabbau

Bielefeld (hz). Richter und Staatsanwälte gehen am heutigen Samstag auf die Straße. Genauer gesagt: auf den Jahnplatz. Dort protestieren die Juristen aus dem Landgerichtsbezirk Bielefeld von 10 Uhr an gegen Stellenabbau bei gleichzeitig zunehmender Arbeit.

»Der Justiz steht es bereits bis zur Oberkante Unterlippe, und die NRW-Landesregierung will noch sechs Prozent Stellen abbauen«, bringt Christian Friehoff auf den Punkt, warum es einen Berufsstand, der ansonsten sämtlicher Protestkundgebungen unverdächtig ist, plötzlich an die Öffentlichkeit treibt. Nach den Berechnungen von Friehoff, Jugendrichter am Amtsgericht Bielefeld und Vorsitzender der hiesigen Bezirksgruppe des Bundes der Richter und Staatsanwälte, fehlen allein im Landgerichtsbezirk Bielefeld (das sind neben der Großstadt die Kreise Gütersloh, Herford, Minden-Lübbecke) etwa 50 Richter und 20 Staatsanwälte. Eine Kürzung von sechs Prozent würde den Gerichtsbezirk mit einem Minus von 15 Stellen treffen.
Damit würde die Politik den bereits herrschenden »eklatanten Mangel« weiter vergrößern. Nachdem die CDU 2005 mit dem Versprechen, bei der Justiz keine Stellen zu streichen, in den Landtagswahlkampf NRW gezogen sei, passiere jetzt genau das Gegenteil: Der von der abgewählten rot-grünen Landesregierung beschlossene sechsprozentige Stellenabbau werde nun doch nicht rückgängig gemacht, sondern von Schwarz-Gelb umgesetzt.
Dabei wäre Verstärkung bei den Organen der Rechtssprechung bitter nötig, bekräftigt Friehoff. Im Jahr 1993 habe jeder Richter bereits 113 Prozent Arbeit zugewiesen bekommen. Friehoff: »Im vergangenen Jahr hat der so genannten Pensenschlüssel, also das zu bewältigende Arbeitspensum pro Richter, bereits bei stattlichen 156 Prozent gelegen.« Fazit des Sprechers der Bielefelder Richter und Staatsanwälte: »Wir haben schon immer mehr gearbeitet als wir mussten. Die 41-Stunden-Woche gibt es bei uns nur auf dem Papier. Doch mittlerweile bekommt jeder Richter und Staatsanwalt Arbeit für knapp 53 Stunden in der Woche auf den Tisch. Das ist unerträglich.«
Und zwar unerträglich sowohl für die Betroffenen als auch für die Bürger, stellt Richter Friehoff klar. Denn die Konsequenzen eines sechsprozentigen Stellenabbaus bei einer trotz Mehrarbeit in den Aktenfluten erstickenden Justiz lägen klar auf der Hand: Die Dauer von Verfahren zöge sich noch weiter in die Länge, und Prozesse müssten zu Lasten einer fairen Rechtssprechung im Akkordtempo erledigt werden. Friehoff: »Der Standortfaktor Justiz muss funktionieren. Deshalb gehen wir nicht in unserem Interesse auf die Straße, sondern im Interesse der ganzen Gesellschaft.«

Artikel vom 04.03.2006