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»Nun danket alle Gott«: Der Zionschor erfreute die Besucher mit seinen schönen Stimmen.
In der ersten Reihe: OB Eberhard David, Kathrin Mailänder, Bodelschwingh (Jan Osterkamp), Christa Buß (deren Mann, Präses Alfred Buß gerade Grußworte spricht) und Regina van Dinther (v.re.).

»Gott liebt jeden Menschen«

Bethel würdigt seinen berühmten »Vater« Friedrich von Bodelschwingh

Von Matthias Meyer zur Heyde und Hans-Werner Büscher (Fotos)
Bielefeld (WB). Heute eröffnet Angela Merkel in Berlin eine Ausstellung zum 175. Geburtstag Friedrich von Bodelschwinghs - aber die Ehrung, über die sich der Gründer Bethels am meisten gefreut hätte, wurde ihm bereits gestern zuteil: ein Gottesdienst in der Zionskirche mit wohl mindestens 800 000 Teilnehmern.

Viele Prominente, darunter Präses Alfred Buß, die NRW-Landtagspräsidentin Regina van Dinter und der Europaabgeordnete Elmar Brok, erwiesen dem Pastor, dessen Lebenswerk Bethel heute Weltruhm genießt, ihre Reverenz. Den Gottesdienst verfolgten nicht nur die lokalen Mitarbeiter von Kirche und Diakonie sowie zahlreiche Bielefelder - der WDR sendete live, und selbst in den Süden der Republik wurde das Ereignis (via SWR) übertragen.
Pastor Friedrich Schophaus, Bethels Vorstandsvorsitzender, pries in der Predigt Bodelschwinghs Maxime, das »Evangelium mit den Händen« zu verbreiten, wie es bis heute lebendiger Geist in der Diakonie sei. »Es geht kein Mensch über diese Erde, den Gott nicht liebt«, hatte der langjährige Leiter - von 1872 bis 1910 - der nach ihm benannten Anstalten stets geglaubt, und war in diesem Glauben bedürftigen Menschen eine Stütze gewesen, hatte ihnen ein Heim gegeben und sie für sie gesorgt.
»Es gibt kein unwertes Leben«, sagte Schophaus ganz im Sinne des Geehrten. Gut 20 von Bodelschwinghs Nachfahren, der Urenkel Friedrich-Wilhelm von Bodelschwingh aus Bergkamen ebenso wie einige Ururgroßneffen, freuten sich gemeinsam mit den übrigen 800 Besuchern im Gotteshaus über das leibhaftige Erscheinen ihres berühmten Ahnen: Jan Osterkamp, Schauspieler der »Theaterwerkstatt«, Vollbart, Bratenrock, Gamaschen, bat, auf seinen Knotenstock gestützt, um Aufklärung darüber, was sich fast ein Jahrhundert nach seinem Tode in der »Inneren Mission« Bethels geändert habe.
Ob er einer der »Langen Kerls« des Preußenkönigs sei, wollte Bodelschwingh/Osterkamp vom hochgewachsenen Präses Buß wissen. Er freute sich, in Person Schwester Lenchen Wemhöners eine Diakonisse in Tracht begrüßen zu können und ließ sich von Friederike Beuter überzeugen, dass Frauen im Diakonsamt keine Ablenkung von der Fürsorgearbeit bedeuten. Ein Epilepsiepatient erzählte von der Emanzipation der einstigen »Fallsüchtigen« zu einem selbstbestimmten Leben in Würde, und Dr. Christian Brandt, Oberarzt des Betheler Epilepsiezentrums, berichtete ihm von medizinischen Fortschritten, auch von Operationen am Gehirn. Bodelschwingh: »Na, Sie trauen sich ja was!« Ob denn wenigstens das Evangelium in reiner Form verkündet werde?
Da konnten ihn Schophaus und die Liturgin, Pastorin Kathrin Mailänder, beruhigen. Präses Buß, der die Grüße der Westfälischen Landessynode überbrachte, würdigte den »konservativen Revolutionär« Bodelschwingh als Kritiker der - allzu bürokratischen -Ê verfassten Kirche und als Verfechter einer vom Geist Gottes durchwehten »unsichtbaren Kirche«. Regina van Dinther dankte den 13 000 Bethel-Mitarbeitern dafür, in dunklen Tagen des finanzschwachen Sozialstaates den Bedürftigen ein Sonnenschein zu sein. »Bethel ist zum Symbol für gelebte Menschlichkeit wie für theologische Forschung geworden«, sagte die NRW-Landtagspräsidentin.
Oberbürgermeister Eberhard David freute sich, sagen zu können, dass Bielefeld dank Bethel zur Hauptstadt der Diakonie emporgestiegen sei. Er erinnerte daran, dass viele Mitarbeiter der ersten Stunde aus der Stadt kamen. »Die erste Frage lautet nicht: Was kann ich vom Nächsten erwarten? Sie lautet: Was kann der Nächste von mir erwarten?«
Im von Küster Gerhard Hornbach organisierten Ablauf des Gottesdienstes spielten betreute Bethelbewohner bei der Gestaltung der Liturgie eine wichtige Rolle: gelebte Teilhabe. Den musikalischen Part gestalteten souverän die Posaunenmission (Leitung: Joachim von Haebler), das Vokalensemble mit Kantor und Organist Christoph Pülsch und der Zionschor (Leitung: Paul-Friedrich Klein).

Artikel vom 06.03.2006