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21. Juni, 13.45 Uhr: Anpfiff zum Spiel gegen Österreich, Auftakt der Schmach von Cordoba.

Steaks, fast so groß wie
bei uns ein ganzes Rind

Sponsoren halfen bei Werner Weihs Argentinien-Reise

Von Matthias Meyer zur Heyde
Diesmal, soviel war sicher, würde es keinen Ärger geben: »Für das Turnier 1978 hatte ich einen Sponsor, der den Flug und das Hotel bezahlte, außerdem ein Taschengeld spendierte - und vor allem Eintrittskarten zu allen deutschen Spielen bereithielt«, erinnert sich Werner Weih. Eine Illustrierte und ironischerweise ein Tabakkonzern finanzierten den vierwöchigen Trip des Nichtrauchers nach Argentinien, »und weil ich meine Ersparnisse unangetastet lassen konnte, habe ich meine Familie nach der WM für zwei Wochen nach Tunesien eingeladen.«

Werner Weih übrigens war nur einer von zwei Ehrengästen der Zeitschrift - der andere leitet riesige Chöre und heißt Gotthilf Fischer. »Ein Pfundskerl, immer für ein Späßchen zu haben.« Gute Laune war gefragt, denn im Vorfeld hatte man Deutschlands bekanntestem Schlachtenbummler von der Reise dringend abgeraten: In Argentinien wütete eine Militärjunta. »Bleib hier! Da drüben wirst du bloß abgeschlachtet! So hatte es geheißen, aber die Argentinier waren unglaublich gastfreundlich - die Rundreise war eine Wucht.«
Die Nationalelf (die nach dem Wunsch des DFB nicht so sehr gut spielen, sondern viel eher den Funktionären keine Widerworte geben sollte) und ihre kläglichen Auftritte hat Werner Weih genauso abgehakt wie jeder andere Fan auch. Der amtierende Weltmeister blamierte sich in Buenos Aires (0:0 gegen Polen) und in Cordoba (0:0 gegen Tunesien) und fertigte nur Mexiko, die schwächste Turniermannschaft, mit 6:0 ab.
In der Zwischenrunde gab's wieder ein 0:0 (gegen Italien) und ein 2:2 gegen Holland. Und dann schrie Österreichs Rundfunkreporter Edi Finger »I werd narrisch!« ins Mikro, als Krankl die Deutschen mit seinem 3:2 aus dem Turnier schoss. »Die ÝSchmach von CordobaÜ hat auch mir wehgetan«, räumt Werner Weih ein.
Viel schöner, weil ereignisreicher, waren die Erlebnisse abseits des Spielfeldes. Von der Estancia El Martillo, einer Ranch, grüßte der Bielefelder Hotelportier als Gaucho auf dem Rücken eines edlen Pferdes. »Beim Besuch des Rotary Clubs in Buenos Aires, als alle in piekfeinem Zwirn erschienen, war ich in Landestracht mit Poncho und Gaucho-Hut der Liebling aller Einheimischen.« Und unter der Leitung von Gotthilf Fischer klappten sogar Lieder wie »Hoch auf dem gelben Wagen«. »Den Bielefelder Rotariern habe ich einen Wimpel ihrer argentinischen Kollegen mitgebracht«, erzählt Kosmopolit Weih, der hofft, damit interkontinentale Freundschaften angestoßen zu haben.
Den abgehärteten Weltreisenden ließ auch das im eisigen Norden des Landes gelegene, aber ungeheizte Hotel kalt. Dass unter Gotthilf Fischer die Kloschüssel zusammenbrach, war anrüchig, aber witzig. Dass die Bevölkerung ganz versessen auf Autogramme der deutschen Gäste war, schmeichelte dem Gesangsstar wie dem Tribünenfuchs.
Und dass die Steaks so groß waren wie daheim ein ganzes Rind, wurde erfreut in der Rubrik »Lukullische Genüsse« verbucht. »Bei einem großen Fest mit Asado-Folklore tischte man uns einmal auch Ziegenfleisch auf. Meine Begleiter winkten entsetzt ab, ich aber hab's mir schmecken lassen - und plötzlich wollten die anderen auch probieren.« Wenn einem so viel Gutes wird beschert . . .
Kein Wunder, dass Werner Weih am 25. Juni 1978 den so offenherzigen Gastgebern im Stadion Mar del Plata die Daumen drückte. »Argentinien war ein armes Land, in dem die Menschen dennoch alles mit uns teilen wollten - klar, dass wir das 3:1 gegen die Holländer wie einen Sieg der deutschen Elf bejubelt haben.«

Artikel vom 16.05.2006