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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Dr.Dr. Markus Jacobs



Als auf der Höhe der oft gezielt geschürten Gewaltakte von Muslimen im Anschluss an die Veröffentlichungen von Karikaturen in der Türkei ein Priester erschossen wurde, waren viele betroffen. Die öffentliche Aufmerksamkeit wanderte schnell weiter. Mit etwas Abstand ist es angebracht, zu diesem Menschen zurückzukehren. Denn dieser erste gezielte Mord traf ausgerechnet einen Christen und Priester, der mit Fug und Recht modellhaft für den christlichen Umgang mit all diesen Konflikten stehen darf.
Don Andrea Santoro wurde am 5. Februar sonntagsnachmittags von hinten erschossen, als er in der ersten Bankreihe seiner Pfarrkirche kniete und betete. Eine Kugel traf ins Herz, eine zweite in die Leber. Der 17-jährige Todesschütze lief aus der Kirche mit dem Ruf »Allahu Akbar«.
Ausgerechnet diesen Menschen sollte es treffen! Es gibt nämlich nicht viele, die wie er sich dem geistlichen Miteinander von West und Ost in der Türkei gewidmet hatten. Er war Gründer einer Vereinigung »Fenster zum Mittleren Osten«. Diese Beteiligten hatten sich die »gegenseitige Re-Evangelisierung« von Ost und West zum Ziel gesetzt. Es ging um ein Zeugnis von christlicher Liebe - einfach nur durch gelebte Gegenwart und Solidarität mit den Armen in der Türkei.
In der Nähe von Rom war er 1945 geboren worden. Als Priester war er auf seinen eigenen brennenden Wunsch hin in die Türkei gegangen, weil er diese Gegend als »heiliges Land« ansah, in dem schon in der Anfangszeit der Kirche »die heiligen Apostel gewesen sind und das Blut der Märtyrer vergossen wurde«. Wenige Tage vor seiner Ermordung war er noch in Rom gewesen. Dort hatte er auf einer Konferenz seiner Vereinigung seine Vision dargelegt: »der Verständigung und dem Austausch zwischen entfernten Welten, dem Islam, dem Judentum und den christlichen Kirchen einen Weg zu bahnen.«
Während dieser Konferenz, also einige Tage vor den tödlichen Schüssen, hatte er einen Brief geschrieben. Darin heißt es: »Ich habe die Bedeutung und die Möglichkeit erkannt, zwischen diesen beiden Welten einen Ausgleich von geistigen Gütern herzustellen. Der Mittlere Osten, das große âHeilige LandÕ, wo sich Gott dem Menschen auf ganz besondere Weise mitteilen wollte, besitzt - dank des Lichts, das Gott stets ausgegossen hat - seine Reichtümer und die Kraft, unsere westliche Welt zu erleuchten. Aber der Mittlere Osten hat auch seine Schattenseiten, seine oft tragischen Probleme und âLückenÕ. Deshalb hat er es wiederum nötig, dass das Evangelium, das von dort gekommen ist, wieder ausgesät wird und dass die Gegenwart Christi wieder bekannt gemacht wird. Es ist eine gegenseitige âRe-EvangelisierungÕ und Bereicherung, die diese beiden Welten untereinander austauschen können.«
Dann schreibt er davon, dass seine kleine christliche Kirche inzwischen zweimal in der Woche unter der Verantwortung einer vertrauenswürdigen Person für Muslime geöffnet sei. Er wolle sehen, wie dies funktioniere. Denn der christliche Glaube dürfe »kein abstrakter und allgemeiner Glaube sein, sondern ein Glaube wie der Zeit der âAnfängeÕ«. Der besitze als Sauerteig die »geheimnisvolle Fähigkeit, die ganze Masse zu durchsäuern É die Masse aller Zeiten, aller Orte, aller Generationen.«
Er schließt seinen Brief mit dem Gedanken, dass Jesus als Licht jede Situation, auch die tragischste, erleuchten werde. Der letzte Satz lautet: »Möge unser Leben jenes Wachs sein, das sich bereitwillig verzehren lässt.«
Ausgerechnet dieser Mensch, dieser Priester wurde beim Beten in der Kirche erschossen. Gott hat sein Wachs tatsächlich verzehrt. Viele Male vorher hatte er sich von Aggressionen nicht einschüchtern lassen. Er hatte andere ermahnt, das Gute in den pöbelnden Jugendlichen zu sehen. In all dem sah er sich in der Nachfolge Jesu. Ob Gott wieder - wie in der frühen Kirche - den Weg der Ausbreitung seiner Botschaft mit dem Blut der Märtyrer benetzt?

Artikel vom 04.03.2006