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Von Michael Diekmann

Bielefelder Optik

Konsequente Bestandspflege


Die IHK-Statistik hat es an den Tag gebracht: In Bielefeld haben sich die Strukturen verändert wie in kaum einer anderen Stadt der Region. Weniger als ein Drittel der Arbeitsplätze liegt noch im produzierenden Gewerbe der einstigen Industriehochburg, mehr als zwei Drittel im Dienstleistungsbereich und Handel. Allerdings macht sich das Wachstum hier seit drei Jahren nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt positiv bemerkbar. Sprich: Der Kampf um den Erhalt der vorhandenen Arbeitsplätze muss noch entschlossener geführt werden, das Ringen um Ansiedlung neuer Stellen für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte noch engagierter betrieben werden.
Für Politik und Verwaltung eines Oberzentrums wird es damit immer wichtiger, konsequente Bestandspflege in seinem Gewerbebesatz zu betreiben und mit entschlossenem Eintreten für jeden einzelnen Betrieb über die Grenzen hinaus Zeichen für Neuinteressenten zu setzen: Was ist in Bielefeld besser als andernorts? Was macht die Entscheidung für diesen Gewerbestandort so einfach? Oder umgekehrt, warum soll ich mit meinem Unternehmen nicht abwandern, sondern am Ort bleiben?
Reibungsverluste gibt es trotzdem. Wer CVK-Geschäftsführer Horst Kepplinger bei der Vorstellung seiner Erweiterungspläne für das riesige Logistikzentrum zuhört, spürt etwas von einer leichten Unzufriedenheit. Dabei geht es dem Manager wie jedem privaten Häuslebauer: Er steckt in einem engmaschigen Netz aus Verordnungen und Gesetzen. Mehr noch: Der Manager vor Ort muss die Erweiterung auch noch gegenüber der Zenrale in Berlin verantworten und rechtfertigen, warum man gerade in Bielefeld investiert, aber auch, warum manche Dinge gerade hier haken. Zugegeben, viele dieser kleinen Ärgernisse haben höchst unterschiedliche Absender, aber eben alle einunddenselben Empfänger. Und bei dem sammelt sich der Frust.
Beispiel für den Behördendschungel: Für die Erlangung einer Baugenehmigung muss CVK ein Brandschutzgutachten vorlegen. Alle Fakten stimmen. Den Bescheid gibt es trotzdem nicht. Weil der ausführende Gutachter aus Hannover kommt und in NRW nicht zugelassen ist. Gegenfrage: Brennen Feuer in Niedersachsen anders, oder sind Rettungswege dort kürzer? Der CVK-Bau startet jedenfalls mit einer vorläufigen Baugenehmigung, in Sondersitzungen dem Bauamt, der WEGE und Brandschützern abgerungen. Die vorläufige Genehmigung wiederum steht wenig später auf der Kippe, weil das Unternehmen für mehr als zwei Jahrzehnte die Kosten für die Grünpflanzen für die ökologischen Ausgleichsmaßnahmen verpflichtend übernehmen soll.
Übrigens: CVK handelt mit Büchern, nicht mit Pflanzen. Und das eher moorige Gelände, in dem jetzt für das Fundament 360 Pfähle eingeschlagen werden, war eigentlich immer Brachland. Engagierte Sachbearbeiter in der Wirtschaftsförderung, bestätigt der Bauherr, kämpfen mit ganzem Einsatz gegen immer neue Hemmnisse, Hürden im Baurecht, in Amtsstuben und Landesverordnungen. Sie alle zusammen sorgen dafür, dass für Investoren das »gefühlte Klima« manchmal wesentlich vom tatsächlichen Klima in einer Stadt abweicht.
Zum »gefühlten Mißverständis« gehört für Kepplinger auch, wenn er sich in Sachen Energie nicht entsprechend beraten fühlt. Geothermie, also Erdwärme, ist ein Konzept mit Zukunft. CVK wird damit den Neubau beheizen, denkt aber bereits an eine Umstellung der vorhandenen Gasheizungen auf Erdwärme. Die Chance, aus so einem Projekt ein Vorzeigeobjekt für die Stadtwerke zu machen, sieht Kepplinger ebenso vertan wie die Möglichkeit öffentlicher Förderung. Die sei, klagt der Manager, zunächst versprochen, anschließend verworfen worden.
Natürlich ist CVK ein Einzelbeispiel. Und gefühltes Wirtschaftsklima ist immer subjektiv. Wenn aber ein Unternehmen mit 320 Festangestellten und 200 Saisonkräften am Ort erweitert, in EDV investiert und dafür Dienstleister beschäftigt, sich zum Standort Bielefeld bekennt, hat er auch Anspruch auf optimale Verwaltungsprozesse, intaktes Klima, Flexibilität und Entgegenkommen. Und das reicht sogar bis zu neuen Beschäftigungsmodellen.

Artikel vom 04.03.2006