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Der Zug zum großen Geld
treibt Politik und Multis an

Beispiel Energiewirtschaft: Wie Regierungen nach »stillen« Steuern jagen

Von Rolf Dressler
Berlin/Brüssel (WB). Immer höhere Energiepreise bescheren den Giganten der Branche immer höhere Erträge und Gewinne. Diese wiederum spülen gewaltige zusätzliche Steuermilliarden in die notleidenden Staatskassen. Deshalb wollen die Regierungen der großen westlichen Industrieländer Energie-Riesenfirmen jetzt verstärkt im eigenen Lande halten und dafür entgegen offiziell anderslautenden Beteuerungen sogar Fusionen fördern.

Dahinter sehen Beobachter eine zentrale Zielsetzung: Die herrschende Politik möchte sich mit Hilfe national und international operierender Großkonzerne ein neues, wesentlich effektiveres und nach außen hin unauffälligeres Steuereinnahmesystem verschaffen, das zudem wesentlich kostengünstiger funktioniert als die bisherige Erhebung von Lohn-, Einkommen- und Ertragssteuern durch staatliche Finanzverwaltungen, die als vergleichsweise unbeweglich und zu teuer gelten.
Dafür macht sich die Politik einen Tatbestand zunutze, den Professor Eberhard Hamer, langjähriger Leiter des Mittelstandsinstituts Niedersachsen, wie folgt beschreibt: Verdeckt unauffällig erhobene Abgaben wie etwa die Steuern auf Mineralöl, Strom, Gas, Sekt oder Tabak würden von den Verbrauchern überwiegend als Bestandteil vermeintlicher Marktpreise empfunden, tatsächlich aber immer öfter letztlich von marktbeherrschenden, »global« agierenden Anbietern und Dienstleistern bestimmt werden. Solche versteckten Zusatzsteuern erregten bei den Bürgern deshalb weit weniger Unmut und Widerstände als andere direkte Steuern.
Beobachter verweisen dazu auf zwei aktuelle Entwicklungen:
- Frankreichs Regierung betreibt gerade mit Macht den Zusammenschluss der beiden heimischen Konzerne Suez und Gaz de France. Bei einer solchen »Elefantenhochzeit« würde der neue Mammut-Konzern zum Weltmarktführer unter anderem bei Flüssiggas aufsteigen. Allein im Jahre 2005 steigerte Gaz de France den Erlös um fast 28 Prozent auf 22,4 Milliarden Euro.
- Unterdessen möchte der deutsche Energie-Gigant Eon unbedingt den spanischen Versorger Endesa übernehmen und wird darin sogar von Brüssel unterstützt. Die EU-Kommission warnte Spaniens Regierung soeben ungewöhnlich scharf davor, das Übernahmevorhaben von Eon zu blockieren.
Der Hintergrund: Angetrieben durch die Globalisierung verstärken Weltfinanz-, Weltrohstoff- und Weltproduktions-Giganten und -Monopole fortwährend Macht und Einfluss auf das ge- samte Wirtschafts- und Konjunkturgeschehen und üben damit zunehmend Druck auf die Regierungen aus. Firmenzentralen werden verlagert. Riesiges Kapital fließt aus den Hochsteuerländern in Niedrigsteuer-Oasen und geht somit den heimischen Staatskassen verloren.
Folglich können etwa England, Deutschland oder Frankreich sich schon jetzt überwiegend nur noch über die Steuern der mittelständischen Wirtschaft, der mit Abstand wichtigsten volkswirtschaftlichen Säule, »gegenfinanzieren«. Denn deren Firmen können dem Standort Deutschland - anders als weltweit tätige Konzern-Riesen - nicht beliebig den Rücken kehren.
Leitartikel

Artikel vom 04.03.2006