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Meine Nacht unter Verschluss

Einsame Stunden zwischen Schaumstoff und Dralon - pflegende Handseife

Von Markus Poch
Ummeln (WB). »Schlafen Sie gut, Herr Poch. Wir sehen uns morgen!« - Der Mann, dessen freundliches Gesicht mit dem gezwirbelten Schnäuzer ich im Spalt der gepanzerten Stahltür verschwinden sehe, heißt Kersten Griese. Er ist Vollzugsdienst-Leiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bielefeld-Brackwede II. Die schwere Tür mit dem Spion fällt ins Schloss, er dreht den Schlüssel herum. Ich bin weggesperrt in Verschlusszelle Nummer sechs.

Mit dem Gesetz bin ich niemals besonders in Konflikt geraten. Okay, in der Pubertät habe ich mal ein paar Gummibärchen geklaut oder einen Snickers - wie alle anderen Kinder auch. Als »Gegenleistung« habe ich zur Zeit der Krötenwanderung regelmäßig Amphibien über die Straße gerettet. Später gab es dann und wann ein Knöllchen wegen falschen Parkens oder überhöhter Geschwindigkeit, aber nichts Ernstes.
Und jetzt die Ernüchterung: Sechs Monate Freiheitsentzug wegen Missbrauchs von Ausweispapieren - so steht es in meiner Gefangenen-Personalakte der JVA. Weil ich als Querulant eingestuft werde, haben sie mich in eine ihrer nagelneuen Verschlusszellen im Keller (hier: »Sockelgeschoss«) gesteckt. Das sind Bedingungen wie im geschlossenen Vollzug. Der Geruch frischer Farbe, neuer Kacheln und strapazierfähigen PVC-Fußbodens liegt in der Luft. Mein Zuhause ist etwa 4,20 mal 2,20 Meter groß und 2,80 Meter hoch. Die beiden schmalen Fenster in Kopfhöhe lassen sich aufklappen, sind aber vergittert. Die weißen, großporigen Betonwände sind noch makellos.
Wenn ich Lust hätte, könnte ich hier jetzt alles kurz und klein schlagen. Aber so viele Möglichkeiten gibt es nicht. Da stehen ein Metallrahmen-Bett mit Sperrholzplatte und Schaumstoffmatratze, dazu ein Tisch, zwei Stühle. Waschbecken, Spiegel und brillenlose Toilette der Marke »Kuhfuss« sind aus Edelstahl und damit »unkaputtbar«, wie Sicherheitschef Jürgen Henke mir versichert.
Meine Ausrüstung für die nächsten sechs Monate ist überschaubar: weißes Bettlaken, blau-weiß karierter Bezug, zwei braune Dralon-Polyesterdecken, ein Kopfkeil, zwei uralte Frottier-Handtücher, ein Paar widerlich ausgetretener, abgelatschter, aber frisch geputzter Lederschlappen. Prunkstück der Sammlung ist ein grün-blauer Baumwoll-Pyjama, wie ich in seit 30 Jahren nicht mehr gesehen, geschweige denn getragen habe. Zuerst ist er zu klein, aber er wird immer größer, je länger ich ihn trage. Lose fliegen eine Zahnbürste herum, eine Tube Zahnpaste (Perlo dont), ein Becher, ein Einwegrasierer mit Schaum und Pinsel, eine Hautschutzseife (dermatologisch getestet). Verpackt in eine grüne Butterbrotsdose finde ich Essbesteck, eine Tasse, ein Frühstücksbrett.
Nachdem ich meine Grundausstattung aus der Kleiderkammer abgeholt habe, muss ich ihnen allerlei Intimes aus meinem Leben erzählen, damit sie mich besser einschätzen können: Ich bin 40 Jahre alt, 1,78 Meter groß, 87 Kilogramm schwer. Nach einer harmonischen Kindheit mit mittelmäßigen Ergebnissen in der Schule bin ich Redakteur geworden - eine Entwicklung, in der das Sträflingsfoto, das sie von mir gemacht haben, nicht vorgesehen war.
Nun sitze ich hier allein unter Verschluss. Ich mache mein Bett, putze mir die Zähne. Dann starre ich eine Stunde gegen die weiße Wand. Aus der Nachbarzelle höre ich die Klospülung. Es ist spät geworden. Ich rauche eine Feierabend-Zigarette. Das ist erlaubt, aber einen Aschenbecher gibt es nicht. Ich asche in meine Frühstückstasse. Dann knipse ich das Licht aus und versuche, es mir zwischen Schaumstoff und Dralon gemütlich zu machen.
Wenig später reißt mich ein Gong aus dem unruhigen Schlaf. Dann klappert es an der Tür. Ich sehe ein vertrautes Gesicht: »Guten Morgen, Herr Poch. Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen?« - Es ist der freundliche Meister Griese, der mich zum Frühstück abholt. Zerknautscht von der Nacht im Knast, mache ich mich kurz frisch und packe den ganzen Kram wieder zusammen. Wie schön, dass meine sechsmonatige Freiheitsstrafe nur eine Erfindung des Vollzugsdienstes war. In der Gewissheit, dass ich jeden Augenblick wieder auf freiem Fuß bin, schmeckt - um sechs Uhr - sogar eine harte Stulle Graubrot mit Honig oder Knoblauch-Paprika-Salami. Dazu trinkt der moderne Häftling Hagebuttentee.

Artikel vom 03.03.2006