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Unterricht in 25 Lehrerzimmern

In der Kuhlo-Realschule gibt es keine festen Klassenräume mehr

Von Michael Schläger
Bielefeld (WB). Wenn es morgens um 7.50 Uhr in der Kuhloschule zum Unterricht klingelt, gehen die 623 Schülerinnen und Schüler nicht in ihren jeweiligen Klassenraum, sondern in eines von 25 »Lehrerzimmern«. Seit Beginn des Schuljahres gilt in der Realschule das »Lehrerraumprinzip«. »Die Qualität des Unterrichts konnte deutlich verbessert werden«, zieht Schulleiter Heinz-Jürgen Silligmann eine erste Bilanz.

In England und den USA ist es von jeher üblich: Auch dort kommen die Pädagogen nicht in eine Klasse, sondern die Schulkinder zum Lehrer in dessen Unterrichtsraum. »Der Vorschlag, so etwas auch bei uns einzuführen, kam aus dem Kollegium«, sagt Silligmann. Nachdem in den Sommerferien das Gebäude saniert worden war, begann mit dem neuen Schuljahr die Umstellung.
»Ich find's gut, dass wir immer in anderen Räumen sind«, sagt Patrick Solz aus der 5a. Zusammen mit seinen 24 Mitschülerinnen und -schülern kommt er zum Unterricht in den Raum von Matthias Schwarze (35). Der Mathematik- und Physiklehrer hat sein Unterrichtszimmer mit Pflanzen, Bildern und Regalen individuell gestaltet. Auf dem Schreibtisch steht ein Laptop, der bei ihm den roten Lehrerkalender abgelöst hat. Im Hängeregister gleich daneben hat er sofort Zugriff auf die Arbeitsblätter, die er für den Unterricht benötigt. Den »Chefsessel« hat er von zu Hause mitgebracht.
Seit Einführung des neuen Systems hat Schwarze einen »respektvolleren Umgang mit dem Inventar« festgestellt. Einer der Hauptgründe, es einzuführen, war, dass Möbel und Wände in den früheren Klassenräumen oft erheblich traktiert wurden. Jetzt gibt es deutlich weniger Stress, weil die Kinder etwa in den Fünf-Minuten-Pausen keine Randale mehr machen können, sondern auf dem Weg zum neuen Unterrichtsraum sind.
Der langen Wege wegen kann sich Marie Solkan (10) auch nur ein »geht so« zum neuen System abringen. Schließlich muss auch die schwere Tasche immer mitgeschleppt werden. Doch dieses gewichtige Problem hat seine Ursache meist im falschen Packen. »Die Schüler nehmen viel zu viel mit«, weiß Lehrer Schwarze aus Erfahrung. Damit der Ranzen nicht mit allzu vielen Büchern vollgestopft werden muss, befindet sich möglichst in jedem »Lehrerzimmer« ein halber Klassensatz der benötigten Lektüre. Die fehlende Identifikation mit dem festen Klassenraum wird dadurch ausgeglichen, dass beim Klassenlehrer in der Regel auch ein Großteil des Unterrichts stattfindet.
Manche Kleinigkeit, die früher den reibungslosen Unterricht störte, tritt jetzt nicht mehr so schnell auf. So gibt's immer genügend Kreide, und auch Gerätschaften wie einen Overhead-Projektor können die Pädagogen in ihrem Raum lagern.
Matthias Schwarze hat konkrete Wünsche an die Zukunft. Er möchte auch einen Drucker in seinem Raum installieren, um Arbeitsblätter flexibel ausdrucken zu können. Mit entsprechendem Anschluss könnte er auch das Internet für den Unterricht nutzen. Und wenn es dann noch einen mobilen Beamer gäbe, wäre die Ausstattung nahezu perfekt. Schulleiter Silligmann freut sich unterdessen, dass das Lehrerraum-Prinzip in seiner Schule auf breite Zustimmung stieß. »Bei der entscheidenden Abstimmung in der Schulkonferenz gab es nur eine Enthaltung.«

Artikel vom 03.03.2006