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Blinde Kinder in Manila
namenlos eingesperrt

Ordensfrauen aus Ostwestfalen helfen auf Philippinen

Von Christian Althoff
Minden (WB). Prostitution und Bettelei sind für viele blinde Frauen auf den Philippinen die einzige Überlebensmöglichkeit. Hilfe kommt aus Minden - vom »Orden der Schwestern der Christlichen Liebe«.
Dieses blinde Mädchen bekam erst mit acht einen Namen: Pauline.

Versteckt in der Mindener Altstadt liegt ein kleines, 600 Jahre altes früheres Benediktinerkloster. Meterdicke Mauern, eine Kapelle, in der morgens um 6.15 Uhr gemeinsam gebetet wird, ein Kreuzgang mit gotischen Bögen - hier leben fünf Ordensschwestern, die Armut gelobt und ihr Leben in den Dienst der Allgemeinheit gestellt haben. Eine Schwester leitet einen Kindergarten, die zweite ist Erzieherin, eine andere betreut eine Wärme-Stube für Obdachlose, die vierte Ordensfrau führt den Haushalt, und Schwester Irmgard Lakämper (68) ist Gemeindereferentin und Organistin. Seit 49 Jahren gehört die gebürtige Gütersloherin schon dem Orden an, dem sich in Deutschland sowie Nord- und Südamerika 800 Schwestern angeschlossen haben.
Der Orden war 1849 von Pauline von Mallinckrodt gegründet worden - der in Minden geborenen Tochter eines wohlhabenden preußischen Regierungsbeamten. In Paderborn, wo die Familie ein »Winterhaus« besaß, erlebte die Frau als Folge der Industrialisierung die Not und das Elend der Landbevölkerung. Pauline von Mallinckrodt pflegte mittellose Kranke und gründete 1840 einen Hort für Kinder arbeitender Mütter. Hier nahm sie 1842 die ersten zwei blinden Kinder auf - ein entscheidendes Datum in der Geschichte des späteren Ordens.
»Blinde Kinder hatten damals ein trostloses Schicksal. Sie galten nämlich zugleich als geistig behindert und lebten am Rande der Gesellschaft«, sagt Schwester Irmgard, die sich in ihrem Theologiestudium mit Pauline von Mallinckrodt beschäftigt hatte. »Pauline hat damals alles getan, um diese Kinder zu fördern. Sie hat beispielsweise Landkarten aus Gips modelliert, um den Kleinen ein Gefühl für die Landschaft zu vermitteln.«
Die Frau, die später als Reformpädagogin bezeichnet werden sollte, betreute immer mehr blinde Jungen und Mädchen in Paderborn und richtete dort schließlich ein erstes Blindenhaus ein. Als Pauline von Mallinckrodt nach dem Tod ihres Vaters einem Orden beitreten wollte, es aber keine Kongregation gab, in der sie die blinden Kinder weiter hätte betreuen können, gründete sie schließlich vor 157 Jahren ihren eigenen »Orden der Schwestern der christlichen Liebe« zur Betreuung und Pflege von Blinden.
Das Engagement für Kinder und die Schwachen der Gesellschaft bestimmt bis heute das Ordensleben - wenn auch die Hilfe für Blinde in den Hintergrund gerückt ist: »Heute gibt es staatliche Blindenschulen, die unsere Hilfe nicht mehr notwendig machen - zumindest nicht in Deutschland«, erklärt Schwester Irmgard, denn seit zehn Jahren engagieren sich Paulines Nachfolgerinnen auf den Philippinen: Schwester Theresia Barkey aus Gütersloh-Avenwedde und zwei Ordensschwestern von den Philippinen kauften 1996 in Manila ein Reihenhaus, in dem sie zehn blinde Mädchen und Frauen aufnahmen. Inzwischen haben sie ein größeres Haus renoviert, in dem 15 Frauen leben. »Das Leid der blinden Menschen auf den Philippinen ist unbeschreiblich«, sagt Schwester Irmgard. Viele Kinder würden zu Hause eingesperrt und versteckt gehalten, als Frauen könnten sie oft nur durch Prostitution und Bettelei überleben. »Eine Mutter hat beispielsweise ihre achtjährige, blinde Tochter bei meinen Ordensschwestern abgegeben. Wir können nicht ausschließen, dass die Erblindung auf einen Abtreibungsversuch zurückgeht«, erzählt Schwester Irmgard. Erschütternd sei auch gewesen, dass das Mädchen trotz seiner acht Jahre noch keinen Namen gehabt habe. »Sie sprachen es mit »Baby« an. Es gab nicht einmal eine Geburtsurkunde, weil die Eltern das blinde Kind überhaupt nicht angemeldet hatten.« Da der Geburtstag des Mädchens auf den Namenstag der Ordensgründerin fiel, ließen die Schwestern das Kind im Alter von acht Jahren auf den Namen Pauline taufen.
»Unsere Ordensarbeit auf den Philippinen erfährt keinerlei staatliche Zuschüsse«, sagt Schwester Irmgard. Die Betreuung der Blinden sei allein von Spenden abhängig, »und die haben unsere Schwestern bitter nötig.« Zuletzt konnten die Mindener Ordensfrauen einen Scheck über 600 Euro nach Manila schicken: In einem Gottesdienst, der zum zehnjährigen Jubiläum der örtlichen Nachtwächterin Helga Simon (67) veranstaltet worden war, hatte die Kollekte diese stattliche Summe für den guten Zweck ergeben.
Wer die Blindenarbeit der Schwestern unterstützen möchte, erreicht Irmgard Lakämper unter der Nummer 0571/26955.

Artikel vom 04.03.2006