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George Clooney

»Die Filmbranche ist ihrer Zeit nicht voraus, sondern reflektiert die Gesellschaft.«

Leitartikel
Oscar-Verleihung

Hollywood
will Politik
machen


Von Dietmar Kemper
In Los Angeles tritt Deutschland am Wochenende schon wieder gegen Italien an. Diesmal geht es um die Weltmeisterschaft der Filmbranche. In der Kategorie »bester ausländischer Film« bewirbt sich Regisseur Marc Rothemund mit seinem Streifen »Sophie Scholl - Die letzten Tage« um den »Oscar«. Italien hält »Don't Tell« dagegen, in dem eine Frau eine schmerzvolle Reise in die Familiengeschichte unternimmt.
Die Entscheidung darüber, ob Deutschland anders als auf dem grünen Rasen wenigstens auf diesem Spielfeld gewinnt, fällt nicht zuletzt in den mondänen Altersheimen in Palm Springs. Dort küren Schauspieler des alten Hollywood in 24 Sparten die besten Darsteller und Filme des neuen Hollywood. Alle, die jemals für einen Oscar nominiert waren, gehören zur Filmakademie und füllen die 5800 Stimmzettel aus.
Selten waren die Oscars so politisch wie in diesem Jahr. Nahezu alle in die engere Wahl gekommenen Filme setzen auf Gesellschaftskritik: »L.A. Crash« schildert Rassenkonflikte, »Good Night, and Good Luck« die Kommunistenjagd im Amerika der 50er Jahre, »Syriana« Korruption und die Mitverantwortung amerikanischer Konzerne für Kriege und Morde. »Paradise Now«, ein Konkurrent für »Sophie Scholl«, erläutert, wie junge Palästinenser ohne Perspektive zu Selbstmordattentätern geformt werden, und in der europäischen Koproduktion »Merry Christmas« werfen französische und deutsche Soldaten in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs die Waffen weg und verbrüdern sich für eine, nämlich für die Heilige Nacht.
Nachdem unter dem Eindruck des 11. September 2001 für mehrere Jahre Regisseure in die patriotische Pflicht genommen worden waren, klagen sie jetzt verstärkt an, mit Vorliebe die Regierung Bush und die Zustände in den Vereinigten Staaten. Deshalb wird die Oscar-Verleihung am Wochenende ganz anders sein als die im letzten Jahr, als mit »Herr der Ringe III« ein reines Effektfeuerwerk mit elf Oscars überschüttet wurde. Peter Jacksons monumentales Werk verzichtete ganz auf eine politische Botschaft.
Anders auch als 2003, als die Filmakademie die im alten Rom spielende Kampforgie »Gladiator« auf den Schild hob, wird und will Hollywood 2006 Politik machen.
Dass »Brokeback Mountain« mehrere Oscars bekommen wird, gilt als sicher. Die Liebesgeschichte zweier Cowboys treibt konservativen Kreisen die Zornesröte ins Gesicht und ist für Hollywood perfekt dazu geeignet, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten und sich als Verfechter eines modernen und toleranten Amerika darzustellen.
Das neu erwachte Interesse an politischen und geschichtlichen Themen birgt Chancen für den deutschen Beitrag »Sophie Scholl«. Nach der beachtlichen Resonanz, auf die Bernd Eichingers Hitler-Film »Der Untergang« in Hollywood stieß, könnten Marc Rothemund und Darstellerin Julia Jentsch ein Jahr später in den Film-Olymp aufsteigen.

Artikel vom 03.03.2006