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Meinungen haben und äußern


Von Kai Diekmann, Chefredakteur Bild-Zeitung
Die Kritik des Kanzlers war harsch: Stolz sei er, so Gerhard Schröder am Abend der Bundestagswahl 2005, »auf eine demokratische Kultur, die bewiesen hat, daß Medienmacht und Medienmanipulation das demokratische Gemeinwesen nicht erschüttern«.
Die Medien als Manipulatoren der Macht, als Verfälscher des Wählerwillens. Waren sie das? Kaum. Gerhard Schröder ist an sich selbst und seiner Partei gescheitert. In Reihe verlorene Landtagswahlen, Massenaustritte aus der SPD, eine unvermindert hohe Arbeitslosigkeit sowie schwerste handwerkliche Fehler bei der Einführung von Maut, Dosenpfand, Gesundheitsreform oder Hartz IV haben nicht nur das Vertrauen der Wähler, sondern auch das der eigenen Koalition verbraucht. Am Ende wurde jeder Vorschlag des Kanzlers zur Vertrauensfrage.
Dennoch enthält der am Wahlabend formulierte Vorwurf, jenseits aller Dünnhäutigkeit des schlechten Verlierers, auch eine berechtigte Frage: Was dürfen Medien, und wo ist die Grenze? Sollen Medien, wie es Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement kurz darauf formulierte, nur »Merker« sein, niemals aber »Täter«? Und was unterscheidet das eine vom anderen?
Die Antwort ist weniger schwer als sie scheint: »Täter« im politischen Sinn ist, wer durch Gesetz oder Verordnung die Rahmenbedingungen für das Gemeinwesen setzt; wer darüber berichtet, ob kritisch oder affirmativ, ist »Merker«. So kurz, so simpel, so selbstverständlich.
Oder etwa nicht? Hendrik Zörner, Sprecher der Gewerkschaft Deutscher Journalisten Verband, ist anderer Ansicht. Er »teile zwar nicht Schröders Vorwurf«, ließ er verlauten, doch »gab es sehr wohl die Versuche von »Bild«, »stern« und »Financial Times Deutschland«, klar Einfluß zu nehmen. Dort haben Journalisten ihre Kompetenzen überschritten.«
Schon der Versuch der Einflußnahme ist also Kompetenzüberschreitung? Wozu, muß man fragen, schreiben Journalisten dann überhaupt? Für die Archive? Für ihre Schublade? Oder um ihrem Sprecher Gelegenheit zu geben, sie mit standeswidrig törichten Äußerungen zu beschädigen?
Journalisten wollen Einfluß nehmen. Sie wollen das Schlechte verhindern und das Halbgute verbessern. Und natürlich haben sie die Hoffnung, daß vielleicht der eine oder andere Einwand von der Politik aufgegriffen und umgesetzt wird. Wenn es anders wäre, schrieben wir alle nur Tagebücher, bestimmt zur Veröffentlichung nach unserem Tod.
Journalisten sind Meinungsmacher, Meinungshaber, Meinungsäußerer.
Nichts davon ist verboten. Man darf in diesem Land Meinungen haben, man darf sie vertreten, und man darf auch versuchen, andere von dieser Meinung zu überzeugen. Indem man dafür trommelt, Umfragen veranstaltet, Bürgerinitiativen gründet.
Jeder darf das, nicht nur Journalisten. Und man darf sogar Kampagnen inszenieren. So wie die Nein-Danke-Sager gegen Atomkraft, der B.U.N.D. für Naturschutz, Greenpeace gegen den Walfang. Oder wie »stern«, »Spiegel« und »Bild«. Ohne politisches Mandat, einfach aus dem Recht auf freie Meinungsäußerung.
Und man darf auch nicht mitmachen. Beispielsweise bei der Rechtschreibreform. Sich, wie viele renommierte Schriftsteller, einem tief fragwürdigen, ohne demokratische Legitimation vollstreckten Diktat zu verweigern, hat nichts mit »Politikmache« zu tun, auch wenn das einige Zeitungen immer wieder behaupten - aber viel mit der zivilen Selbstbehauptung und Mündigkeit, die ausgerechnet diese Blätter ansonsten immer fordern.
Rudolf Augstein, der Gründer des »Spiegel«, hat einmal bemerkt, ein Journalist habe nicht das Mandat, Wahlen zu gewinnen und Parteien zu promovieren. Das wird nun gern zitiert. Aber wie manches von Augstein ist auch dieser Satz eher wirr als richtig.
Gewiß hat der Journalist kein Mandat im rechtstechnischen Sinn. Aber er hat, wie alle anderen Bürger auch, das Recht, seine Meinung zu äußern, dafür zu kämpfen, Parteien zu promovieren und Wahlempfehlungen abzugeben - und zwar ohne dass er hierfür die Genehmigung der Herren Clement, Schröder, Augstein oder irgendwelcher Gewerkschaftssprecher braucht.

Artikel vom 15.03.2006