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Häftling hofft
auf Karlsruhe

Beschwerde stößt auf offene Ohren

Von Christian Althoff
Herford (WB). Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wird offenbar einer Beschwerde des Bielefelder Rechtsanwaltes Michael Bagnucki folgen und die Bundesregierung verpflichten, ein spezielles Gesetz für den Jugendstrafvollzug zu erlassen.
Michael Bagnucki reichte die Beschwerde ein.Ministerin Brigitte Zypries gab Versäumnisse zu.

Allein in NRW sitzen insgesamt 1500 Häftlinge in den fünf Jugendstrafanstalten Herford, Hövelhof, Iserlohn, Siegburg und Heinsberg. Zwölf Prozent der Straftäter sind 14 bis 17 Jahre, 49 Prozent 18 bis 20 Jahre, und 39 Prozent 12 bis 24 Jahre alt. Verstoßen die Gefangenen gegen die Hausordung, kann der JVA-Leiter Disziplinarmaßnahmen verhängen.
Das erfuhr auch der junge Raubmörder Karol R., der in der JVA Herford neun Jahre Haft absitzen sollte. Nach einer Schlägerei verhängte der Gefängnisleiter gegen ihn ein 50-prozentiges Einkaufsverbot, eine 14-tägige Fernseh-Sperre und den Ausschluss von Gemeinschaftsveranstaltungen.
»Auch wenn diese Strafen gerechtfertigt erscheinen mögen - es gibt für diese Eingriffe ins Persönlichkeitsrecht keine gesetzlichen Grundlage«, sagt Amtsrichter Helmut Knöner aus Herford. Er war Vollstreckungsleiter des Häftlings und hatte die Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe angeregt: »Weil ein Gesetz fehlt, das die Bestrafung junger Häftlingen regelt, während wir ansonsten in Deutschland alles zum Teil überreglementiert haben.« Im Erwachsenenvollzug etwa gebe es seit Jahrzehnten eine entsprechende Rechtsgrundlage.
In der gestrigen Anhörung, an der auch der von zwei Beamten bewachte Häftling Karol R. teilnahm, gab Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) zu, die derzeitige Situation sei »unbefriedigend«. Die letzten Bemühungen um eine Regelung seien im vergangenen Jahr an den vorgezogenen Bundestagswahlen gescheitert. Man stehe jetzt »vor einem neuen Anlauf«, sagte die Ministerin, die das Verfassungsgericht aber um eine Schonfrist bat.
Winfried Hassemer, der Vorsitzende des achtköpfigen Senats, gab in der dreistündigen Verhandlung zu erkennen, dass nicht nur die Bestrafung von Gefangenen geregelt werden müsse: »Wir wollen wissen, wie die Grundlagen des Jugendstrafvollzuges aussehen sollen.«
Der Bielefelder Anwalt Michael Bagnucki, der die Verfassungsbeschwerde eingereicht hatte, fand sich von mehreren Gutachtern bestätigt. Nach der Verhandlung erklärte der Jurist, dies sei ein großer Tag für ihn gewesen: »Einen Auftritt vor dem Bundesverfassungsgericht hat man als Anwalt vielleicht einmal in seinem Leben.« Zufrieden war auch Amtsrichter Helmut Knöner, der die Anhörung als Zuschauer verfolgt hatte: »Auch wenn der Senat seine Entscheidung erst in acht Wochen verkünden will - es war unüberhörbar, dass wir mit unserem Anliegen auf offene Ohren gestoßen sind. Ich gehe davon aus, dass die Verfassungsrichter die Bundesregierung in die Pflicht nehmen werden.« Az.: 2 BvR 1673/04

Artikel vom 02.03.2006