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Ärzte proben den zivilen Ungehorsam

1100 Mediziner bei gesundheitspolitischem Aschermittwoch - Protest wird noch verschärft

Von Sabine Schulze
Bielefeld (WB). Handzettel des Mobilen Theaters Bielefeld lagen im Ringlokschuppen aus und warben für Aufführungen des Stückes »Weißkitteldämmerung«. So weit wollen es die Ärzte aber nicht kommen lassen: Sie haben sich gestern beim gesundheitspolitischen Aschermittwoch äußerst kampfbereit gezeigt.

1100 Mediziner aus dem Regierungsbezirk Detmold und dem Münsterland protestierten geharnischt gegen die »Spargesetze« der Bundesregierung. Neben überbordender Bürokratie und jahrelangen Honorareinbußen kritisieren die Ärzte vor allem die Bonus-Malus-Regelung: Sie soll die, die sparsam verschreiben belohnen und (wie bislang bereits) die, die mehr verschreiben in Regress nehmen. »Die Regelung macht uns zu Verdächtigen und bringt Misstrauen in die Praxen - genau das, was Ulla Schmidt will«, sagte Dr. Ulrich Thamer, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. Zudem, meinte er, sei sie weder mit dem Berufsrecht noch mit der Verfassung vereinbar.
Letzteres sieht auch Prof. Dr. Helge Sodan, Verfassungsrichter aus Berlin, so - wie er auch rechtliche Einwände gegen die »Gleichschaltung« der privaten mit den gesetzlichen Krankenversicherungen hat. Zu 20 bis 30 Prozent finanzieren sich Arztpraxen durch die Privatpatienten. Ein Eingriff hätte »dramatische Folgen«. Freiberuflichkeit, war er sich mit Thamer einig, sei der Gesundheitsministerin ein Dorn im Auge. »Ein ehemals freier Beruf wird noch unfreier«, klagte Thamer.
Der KV-Vorsitzende kritisierte, dass die KV'en quasi keine Gestaltungsmöglichkeiten hätten und nur noch Fassade seien, dass zudem die Bundesvereinigung den Protest der Basis nicht aufgenommen habe. »Dann kann man sie abschaffen.« Noch deutlicher formulierte es Dr. Werner Baumgärtner vom Ärzteverband Medi Deutschland: Er verlangte von den Körperschaften den zivilen Ungehorsam. Die Protestmaßnahmen, so Baumgärtner, müssten durchgehalten werden - »selbst wenn sie am Rande der Legalität zu sein scheinen«. Rechtswidrig sei auch, dass in keiner KV derzeit für ärztliche Leistungen feste Punktwerte existierten. Eine Option ist für ihn auch der Ausstieg aus dem System, also die kollektive Rückgabe von Kassenzulassungen. »Wir werden unsere Gangart verschärfen«, drohte er. Wegen der Ärzte-Kundgebung blieben gestern zahlreiche Praxen in OWL geschlossen. Das wird auch heute so sein, ein Notdienst ist gewährleistet.

Artikel vom 02.03.2006