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»Auf der Suche nach Athen« ist im Buchhandel erhältlich.
Ursula Rhode-Jüchtern veröffentlichte ihr Tagebuch.

Geimpft mit »Kraft durch Freude«

Ursula Rhode-Jüchtern veröffentlicht Tagebuch aus dem Jahr 1943


Bielefeld (uj). »Eigentlich war mir die Zeit immer zu schade, um Tagebuch zu führen«, sagt Ursula Rhode-Jüchtern. Von August bis Oktober 1943 hat sie es dennoch getan. Zu der Zeit befand sich die damals 21-jährige Studentin der Berliner Hochschule für Kirchen- und Schulmusik gemeinsam mit sechs Kommilitoninnen auf einer Reise durch die Balkanländer - zur »kulturellen Truppenbetreuung«, wie der Einsatz offiziell hieß.
Mehr als 60 Jahre danach hat Ursula Rhode-Jüchtern ihre Aufzeichnungen, um kritische Anmerkungen erweitert, veröffentlicht. »Auf der Suche nach Athen«, so der Titel des 75 Seiten umfassenden Büchleins, nimmt den Leser mit auf die Reise der Studentinnen, lässt sie teilhaben an ihren Gedanken und Erlebnissen und an einem Stück Zeitgeschichte, das trotz seiner weitreichenden Aufarbeitung für nach 1945 Geborene zum Teil schwer zu greifen ist. Offenbar kreierten die Umstände, unter denen die Menschen lebten, ihre eigenen Überlebensstrategien.
Auch Ursula Rhode-Jüchtern, die es nach dem Krieg nach Bielefeld verschlug, machte eine merkwürdige Entdeckung, als sie Jahrzehnte später ihr Tagebuch wiederfand: »Vieles, was ich aus den verblaßten Kopierstiftseiten herauslesen konnte, war meiner Erinnerung entfallen, aber manches, was ich nicht vergessen hatte, suchte ich vergebens. Offenbar hatte die Schere, die wir freiwillig in unsere Köpfe eingesetzt hatten, gut funktioniert. Es waren die Dinge, von denen wir wußten, daß sie während der Herrschaft der sogenannten Nationalsozialisten nicht gern gehört würden, und wenn sie gehört würden, harte Strafen drohten«, schreibt die pensionierte Lehrerin im Vorwort.
Geimpft mit der Kraft-durch-Freude-Doktrin begaben sich die Studentinnen recht unbekümmert auf eine Reise durch besetzte Länder. Dass sie sich damit zum Teil großer Gefahren aussetzten, verstanden sie erstaunlich gut zu verdrängen. Weniger aber wegen spektakulärer Situationen, sondern um des geschichtlichen Ver-ständnisses willen sind die Aufzeichnungen von Bedeutung.
ISBN 3-8267-5548-0, 7,40 Euro.

Artikel vom 01.03.2006