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Nach dem »Wunder von Bern«:
Eckel wundert sich immer noch

Eine filmreife Vorstellung: Deutschlands WM-Triumph am 4. Juli 1954

Von Klaus Lükewille
Bern (WB). Später, in der Kabine, da herrschte Stille. Kein Jubel. Kein Lied. Kein Freudenausbruch. Horst Eckel erinnert sich: »Jeder saß auf seinem Platz, alle waren ganz ruhig.«

Nur einer brach das große Schweigen. Bundestrainer Sepp Herberger blickte in die Runde und forderte seine Spieler auf: »Jungens, wollt ihr nicht was singen? Freut euch doch. Ihr seid gerade Weltmeister geworden.«
Diese Szene trifft die Stimmung des 4. Juli 1954. Sie waren die Hauptdarsteller - und sie konnten es trotzdem noch immer nicht so richtig begreifen. Horst Eckel, mit 22 Jahren damals der Jüngste, er wundert sich auch heute noch über das »Wunder von Bern«. Sein Blick zurück: »Einfach unfassbar, was wir damals erreicht haben.«
Deutschland besiegte den haushohen Favoriten Ungarn im Finale mit 3:2. Eine Sensation. Ein Fußball-Märchen. Ein Film-Stoff. Und der Streifen lief dann ja auch, zwar erst 49 Jahre später, aber dann mit großem Erfolg, in den Kinos. Sönke Wortmann führte die Regie, Eckel war sein Fachberater. Über den Titel wurde nicht eine Sekunde nachgedacht. »Das Wunder von Bern«. Was sonst?
»Ein Meisterstück«, urteilt nicht nur Eckel, der sich während der Dreharbeiten so intensiv wie nie zuvor in die großen Tage von 1954 zurück versetzt fühlte. Da hörte er wieder Sepp Herbergers Stimme, der in der Halbzeitpause seiner Mannschaft neuen Mut machte: »Männer, es steht 2:2. Jetzt spielen wir unsere bessere Konditon aus.«
Oder dann der begeisternde Empfang in der Heimat. Mit einem Sonderzug ging es über die Grenze. Das sind die letzten Bilder des Wortmann-Werks. Als Eckel diese Aufnahmen sah, musste er tief durchatmen. Nein, nein, er träumte nicht. Eckel saß »nur« im Kino, aber er war auf keinen Fall im falschen Film: »Denn ich hatte das große Glück, das genau so erleben zu dürfen. Einmalig. Großartig. Unvergesslich.«
Alte Bilder bekamen neue Konturen. Und dann die Erinnerungen an die wichtigsten Figuren. Trainer Sepp Herberger, respektvoll nur der »Chef« genannt. Über ihn sagt Eckel heute: »Er war wie ein Vater und ein hervorragender Pädagoge. Aber er war auch streng. Ich habe ihn nie lachen gesehen.«
Ein stürmischer Mannschaftskollege, der grinste dafür umso mehr. Helmut Rahn, der Schütze des Tores aller Tore, er war die Stimmungskanone. »Ach, der Boss«, erinnert sich Eckel, »der war immer für einen Jux gut. Und auf dem Platz: absolut unberechenbar. Der wusste manchmal selbst nicht, was er im nächsten Moment mit dem Ball machen würde.« Nur in der 84. Minute, da wusste Rahn es ganz genau: »Ich nahm dat Ding mit links. Bumms - und drin war er.«
3:2. Fritz Walter durfte den Pokal aus den Händen von Jules Rimet entgegen nehmen. Für Eckel war der damals zwölf Jahre ältere Regisseur mehr als nur ein Kapitän auf dem Spielfeld: »Der Fritz hat uns immer wieder klar gemacht, dass man nie vergessen darf, woher man gekommen ist.«
Auch typisch für diese in jeder Beziehung einmaligen Weltmeister. Da war mit dem Abpfiff noch längst nicht alles vorbei. Da war mehr als nur Fußball. Eckel vermisst diese Werte schon lange: »Freundschaft, gegenseitige Achtung, und echter Teamgeist, das gibt es heute nicht mehr.«
Und darum wurde bisher nur über das »Wunder von Bern« ein Film gedreht. Die Triumphe von München (1974) und Rom (1990) gaben nicht genug Stoff her. Doch Wortmann plant ja ein neues Werk. Aber Vorsicht, bitte nicht wundern, wenn das »Wunder von Berlin« nicht Wirklichkeit wird.

Artikel vom 04.03.2006