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»Seit 30 Jahren immer
die gleiche Leier . . .«


Mit dem Beschluss zur »Württemberger Allee« des SPD-Ortsvereins Sennestadt befasst sich folgender Leserbrief:

Liebe alte Tante SPD (in Sennestadt), der Bericht über deine Mitgliederversammlung macht mir Sorgen um deinen Zustand. Es ist ja bekannt, dass bei deinen Ortsvereins-Treffen dann doch immer wieder viele altgediente Genossen kommen, auch wenn es mit der Zeit merklich weniger geworden sind. (Bei deiner jüngsten Versammlung waren es gerade noch 36 von etwa 400 Mitgliedern). Und seit Jahren erzählt ihr euch bei euren Treffen immer die gleichen Geschichten, die wir dann in der Zeitung lesen müssen: 1973, die Eingemeindung nach Bielefeld, der Verlust der Selbstständigkeit.....
Ja, alte Tante, ich weiß, diesen für dich sehr herben Schicksalsschlag hast du bis heute nicht verwunden. Aber im Ernst, wir sind jetzt mehr als 30 Jahre weiter, alte Tante, wir schreiben das Jahr 2006. Und ihr schwelgt in den alten Zeiten des Aufbaus der Sennestadt. Wer wollte das bestreiten, da habt ihr euch wirklich große Verdienste erworben. Mit schöner Regelmäßigkeit kommt dann auch das mit dem Bebauungsplan »Württemberger Allee« - wenn der endlich umgesetzt wird, dann wird alles wieder gut. Sicher, alte Tante, ich höre dir auch immer wieder zu, obwohl ich das ja schon auswendig kenne, seit 30 Jahren immer dieselbe Leier. Aber ich verstehe, dass es schwer ist, im Alter Abschied nehmen zu müssen von unerfüllten Lebensträumen und verpassten Möglichkeiten. Das ist gewiss bitter.
Was mich aber langsam nachdenklich stimmt, es ist ein typisches Zeichen, während man in der Gegenwart so langsam die Orientierung verliert, funktioniert das Langzeitgedächtnis noch erstaunlich gut - und eigentlich nur noch das Langzeitgedächtnis.
Nun ja, alte Tante SPD, wie soll ich es sagen, die Welt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten doch ziemlich verändert. Da ist es wirklich schwer, sich zurecht zu finden. Heute reden die Menschen vom »demographischen Wandel«, sie meinen damit, die Bevölkerung nimmt nicht mehr, wie du es noch gewohnt bist, einfach immer weiter zu, die Bevölkerungszahl geht zurück, und vor allem: Die Zusammensetzung verändert sich dramatisch. Das hat Folgen für die Stadtentwicklung. Da kann man nicht mehr einfach sagen: Noch ein neues Baugebiet - und schwups kommen junge Familien und dann kommt Kaufkraft und alles wird gut, so wie es zu deiner großen Zeit, als ihr die Sennestadt aufgebaut habt, vielleicht noch richtig war. Ja, alte Tante SPD, ich fürchte, in der modernen Zeit findest du dich nicht mehr so richtig zurecht.
Stattdessen wiederholst du »gebetsmühlenartig« das alte Mantra von der »Württemberger Allee«, weil du das noch von früher kennst, obwohl doch mit der Dalbker Allee, mit den Baugebieten Keilerweg, Donauallee, und Schilling aber auch Gökenfeld in Eckardtsheim oder Breipohls Hof und Wahlbrink in Senne, so viele Baugebiete im Bielefelder Süden zur Verfügung stehen. Deine Mitgliederversammlung behauptet zwar schlicht und ergreifend, alle diese Projekte stünden »aus verschiedenen Gründen« nicht zur Verfügung. Tante, wie realitätstüchtig bist du eigentlich noch? Wenn du doch wenigstens der erstaunten Öffentlichkeit die Gründe einmal näher darstellen würdest. (Oder meinst du etwa, dass alle diese Projekte durchaus mit Vermarktungsproblemen zu kämpfen haben und die Bewerber nicht etwa Schlange stehen, so wie du das noch aus den 50er Jahren des Aufbaus der Sennestadt gewohnt warst?)
Vielleicht hättet ihr auch beschließen können, »die Erde ist eine Scheibe«. Ein solcher Beschluss würde den Anforderungen an eine moderne Stadtentwicklung ähnlich gerecht werden, wie euer »Mehrheitsbeschluss« (20 zu 16!) zur Württemberger Allee.
Johannes Menge
33689 BIELFELD

Artikel vom 01.03.2006