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Panorama der
Gesellschaft

Ausgezeichnet: »Requiem«


Nach der ersten »Requiem«-Aufführung bei der Berlinale war eigentlich allen Zuschauern klar: Mit der Hauptrolle in diesem sensiblen Gesellschaftspanorama von Regisseur Hans-Christian Schmid gehört die Kino-Debütantin Sandra Hüller in die erste Liga der deutschen Filmschauspieler. Die Auszeichnung mit dem »Silbernen Bären« als beste Schauspielerin bestätigte diesen Eindruck.
Die aus Suhl stammende, am Theater Basel engagierte Darstellerin verkörpert Michaela Klingler, eine junge Frau, die an Epilepsie leidet. Ihre Familie ist ganz den engen, in den 1970er Jahren noch weit verbreiteten Lebens- und Denkmustern des Katholizismus verbunden. Ein Studienplatz an der Universität Tübingen könnte Michaelas Horizont erweitern, doch immer öfter auftretende Anfälle und Halluzinationen machen ale Pläne zunichte. Schließlich glaubt Michaela selbst, besessen zu sein. Sie willigt in einen Exorzismus, eine Teufelsaustreibung ein. Die Folgen sind tödlich.
Sandra Hüller spielt die kompliziere Rolle der Michaela mit staunenswerter Sicherheit. Dabei greift sie nie zu vordergründigen Manierismen; ganz leise kommt der Horror. Eine ebenso beeindruckende wie fesselnde Leistung. Ihr Spiel entspricht perfekt dem Inszenierungsstil von Hans-Christian Schmid, der am Drehbuch mitgearbeitet hat. Schmid setzt nicht auf schrille Effekte oder Äußerlichkeiten, sondern entblättert behutsam das Panorama des alltäglichen Schreckens. Es besticht besonders, dass er keine Figur denunziert - alle handeln aus Liebe. Doch weil ihre Herzen nicht weit genug sind, wandelt sich das Gutgemeinte zum Bösen.
Der Film basiert auf dem wirklichen Fall der Anneliese Michel, der sich vor dreißig Jahren in Unterfranken ereignete.

Artikel vom 02.03.2006