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Kehrt nun Rechtschreibfrieden ein?

Zehetmair räumt ein: Vor zehn Jahren über das Ziel hinausgeschossen

Von Karl-Heinz Reith
Berlin (dpa). Noch sind für den von den Kultusministern nach jahrelangen Querelen herbeigesehnten »deutschen Rechtschreibfrieden« nicht alle Probleme vom Tisch. Doch mit der Entgegennahme der Korrektur-Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung wurde gestern zumindest eine weitere Hürde genommen.
Wenn die Kultusministerkonferenz die Änderungsvorschläge am Donnerstag annimmt, heißt es künftig wieder »bankrottgehen«. Foto: dpa

Der für Donnerstag geplante offizielle Änderungsbeschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) gilt nunmehr als sicher. Ziel ist die Wiederherherstellung einer einheitlichen Rechtschreibung in allen deutschen Schulen zum Herbst dieses Jahres.
Denn mit Blick auf die erwarteten Änderungen der 1996 von Deutschland und den anderen deutschsprachigen Staaten beschlossenen Rechtschreibreform waren vor einem Jahr Bayern und Nordrhein-Westfalen ausgeschert. Die beiden Bundesländer ließen den vereinbarten Starttermin zum 1. August 2005 verstreichen.
Folge: Nur in den Schulen von 14 der 16 Bundesländern sind heute bereits die unstrittigen Teile der Rechtschreibreform verbindlich. Während in NRW und Bayern noch immer »Stengel« statt »Stängel« geschrieben werden darf, gilt das in den anderen Bundesländern heute als Fehler.
Die KMK-Präsidentin Ute Erdsiek Rave (SPD/Schleswig-Holstein) gab sich zuversichtlich, dass mit den Änderungsempfehlungen nun eine gute Grundlage zur Rückkehr zu einer einheitlichen Rechtschreibung in den Schulen gefunden worden sei. Angesichts des jahrelangen Streits erinnerte Erdsiek-Rave mit ein wenig Wehmut an die eigentlichen Reformziele: Die Rechtschreibung sollte einfacher werden und in den Schulen schneller zu erlernen sein - damit die Schüler im Unterricht mehr Zeit für Grammatik und Literatur haben.
Der Vorsitzende des Rates für deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair, der jetzt als »Architekt der Reform der Reform« gilt, war als früherer bayerischer Kultusminister selbst an dem umstrittenen Reformbeschluss von 1996 beteiligt. Freimütig räumt Zehetmair heute ein, das die Kultusminister damals »wohl übers Ziel hinaus geschossen« sind. In dem mit Gegnern wie Reformbefürwortern bestückten Rat sei Zehetmair - so räumen auch Kritiker ein - beinahe so etwas wie die »Quadratur des Kreises« gelungen. Viele der Änderungsvorschläge tragen seine pragmatische Handschrift.
In den Empfehlungen zur Korrektur der Rechtschreibreform, die der Rat jetzt in einjähriger Arbeit erstellte, sieht Zehetmair nur einen ersten Teil seiner neuen Aufgabe. Der Rat ist zunächst für sechs Jahre eingesetzt und soll als eine Art »Sprachwächter« die weitere Entwicklung der Rechtschreibung beobachten - wie einst der »Duden«-Verlag. Dabei will er sehen, ob sich im Volksgebrauch tatsächlich auf Dauer der »Stängel« (neu) gegenüber dem »Stengel« (alt) durchsetzt.

Artikel vom 28.02.2006