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»Wenn man Umfragen glauben darf, ist heute mehr als die Hälfte der serbischen Bevölkerung für eine Auslieferung.«

Leitartikel
EU droht Serbien

Ratko Mladic
flieht
und flieht ...


Von Dirk Schröder
Außer Drohungen nichts gewesen. Wieder einmal hat sich die Europäische Union nicht dazu durchgerungen, die Gangart gegenüber Serbien zu verschärfen, damit es endlich den als Kriegsverbrecher gesuchten Ex-General Ratko Mladic verhaften und an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausliefert.
Die EU-Außenminister wollen die Verhandlungen über eine Annäherung an die EU »unterbrechen«, wenn Belgrad nicht bereit ist, mit dem Gericht zusammenzuarbeiten. Was für eine schwammige Formulierung. Anstatt den Machthabern auf dem Balkan eine letzte Frist zu setzen, scheut die EU wieder einmal vor einem Ultimatum zurück.
Glauben die EU-Außenminister wirklich der Regierung in Belgrad, serbische Sondereinsatzkräfte bereiteten sich darauf vor, das Versteck des »Schlächters von Srebenica« zu stürmen? Immer wieder gibt es Meldungen, man habe Mladic gefasst, was dann schleunigst wieder dementiert wird.
Man wird den Eindruck nicht los: Das alles ist eine großangelegte Inszenierung, um Kooperationsbereitschaft mit Den Haag vorzutäuschen. Denn zusammengearbeitet hat man mit dem Tribunal im vergangenen Jahrzehnt zu keinem Zeitpunkt. Carla Del Ponte, Chefanklägerin des Tribunals, kann davon ein Lied singen. Mehr als ein Dutzend mal war sie in Belgrad und hat diese Verweigerung kritisiert. Immer wieder musste sie sich anhören, Mladic sei auf der Flucht, man wisse nicht, wo er sich aufhalte. Und diese »Flucht« sah lange Zeit so aus: Unbehelligt flanierte Mladic durch Belgrad.
Die Wahrheit ist: Aus Furcht vor den innenpolitischen Folgen hat Belgrad dem Druck von außen standgehalten. Ein Druck, der so stark wiederum auch nicht war, denn die Europäische Union hat all die Jahre auch nur halbherzig nach dem Kriegsverbrecher gefahndet.
Zur Wahrheit gehört zudem, dass der nationalistische Regierungschef Vojislav Kostunica in der Vergangenheit nie erwogen hat, den sogenannten »Volkshelden« Mladic auszuliefern. Erinnert sei nur daran, dass Kostunica seinerzeit die Auslieferung von Slobodan Milosevic an das Kriegsverbrechertribunal »Verrat« nannte.
Kostunica spielt immer noch auf Zeit. Mittlerweile ist er jedoch in einer Zwickmühle. Denn die nationalistische Stimmung im Lande schlägt um. Wenn man Umfragen glauben darf, ist heute mehr als die Hälfte der serbischen Bevölkerung für eine Auslieferung.
Serbien ist ein europäischer Staat - seine Zukunft liegt in Europa. Der Regierungschef in Belgrad muss sich sagen lassen, es ist ein hoher Preis, wenn er weiterhin nicht mit Den Haag zusammenarbeitet.
Elf Jahre nach dem Massaker von Srebrenica wird es Zeit, dass die Angehörigen der 8000 Ermordeten Genugtuung erfahren. Ein Serbien, das Kriegsverbrecher schützt, hat in der Europäischen Union nichts zu suchen.

Artikel vom 28.02.2006