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Am Schuss sollt ihr sie erkennen

Ausstellung über kickende Politiker auf Wanderschaft durch elf Städte

Schöppingen (dpa). Wer etwas über Politiker erfahren will, muss ihnen beim Fußballspielen zuschauen, meint Josef Spiegel. »Gerhard Schröder zum Beispiel sieht man den Siegeswillen beim Spiel an. Der will mit Macht an den Ball.« Der Geschäftsführer des Künstlerdorfes Schöppingen deutet auf ein Foto des Ex-Kanzlers im Sturmlauf.

Seit 25 Jahren sammelt Spiegel Bilder von kickenden, laufenden und schwitzenden Politikern. Die Fußball-Weltmeisterschaft hat er nun zum Anlass genommen, eine Ausstellung daraus zu machen: »Oberliga - Politiker als Fußballer - Fußball als Kunst«.
Schröder im 70er Jahre-Trikot seines lippischen Heimatvereins TuS Talle, der ehemalige Bundesaußenminister Joschka Fischer beim dynamischen Abschuss des Leders oder der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel mit energischem Blick auf dem Weg zum Tor - die Fotoausstellung im Künstlerdorf im münsterländischen Schöppingen (Kreis Borken) zeigt Politiker als Kicker, Dribbler und Torjäger. Mehr als 100 Motive aus mehr als zwei Jahrzehnten sind zu sehen - und offenbaren tiefe Einblicke ins Politikgeschäft.
»Die Bilder sagen viel über einzelne Politiker aus«, meint Spiegel. Bayerns Ministerpräsident Stoiber etwa wirke immer etwas verstockt, gestriegelt, egal ob er im Anzug oder im Trikot auf dem Platz steht. »Er sieht nach dem Spiel genauso aus wie vorher - ein Schönwetterfußballer.«
Auch zeige sich, wer ein echter Sportler ist. Spiegel deutet auf ein Bild von Joschka Fischer: ein dynamischer Torschuss in Schräglage, Ende der 80er. »Der hat vorher schon gespielt, das sieht man«, fachsimpelt Spiegel, während sein Zeigefinger auf Fischers markanten Bauchansatz wandert: »Nur hat er nicht immer diszipliniert gelebt.« Auf einem anderen Bild, das Jahre später aufgenommen wurde, ist Fischer beim Lauftraining zu sehen. Der Bauch ist weg, getauscht gegen die asketische Figur eines Langstreckenläufers. Auch solche Geschichten erzählen die Fußball-Fotos.
Ein anderes Bild zeigt den Bundespräsidenten Horst Köhler beim Treffen mit Polens Staatspräsident Aleksander Kwasniewski. In Anzug und Krawatte kicken sich die beiden im prunkvollen Botschaftszimmer einen Ball zu - Diplomatie auf Deutsch. »Manchmal geht es nicht ums Fußballspielen, sondern um die Kameras drumherum«, sagt Spiegel. »Alles, was mit Bildern zu tun hat, wird von Politikern dankend angenommen.«
In den 60er Jahren wäre ein Kanzler auf dem Fußballfeld nicht denkbar gewesen, meint Spiegel. »Damals war der Politiker noch Staatsmann.« Die meisten seiner gesammelten Fotos stammen aus Zeitungen und Zeitschriften. »Mit der Mediengesellschaft und dem Versuch, volksnah zu sein, hat das damals begonnen«, sagt er. »Das ist eine Tendenz der zurückliegenden 20 Jahre.« Heute sei es wichtig für einen Politiker, sich sportlich zu geben, als Teamspieler, als »einer von nebenan«.
Nicht nur deutsche, auch ausländische Staatsmänner sind unter den Kickern zu sehen: Tony Blair beim lockeren Torschuss, Libyens Staatschef Muammar al-Gadhafi beim kraftvollen Kopfball, der frühere spanische Ministerpräsident Felipe Gonzalez im Trikot in der Umkleide.
80 Bilder hängen in den Ausstellungsräumen des Künstlerdorfes, 25 sind in den Schaufenstern von Schöppingens Geschäften verteilt. Für das echte Fußball-Gefühl haben Spiegel und sein Team ein Sammelalbum gestaltet, mit allen Motiven aus der Ausstellung und weiteren 80 Bildern zum Einkleben, limitiert auf 500 Exemplare. Statt um Ballack und Klose können Fußballfans nun um Schröder und Fischer feilschen.
Nach dem Auftakt in Schöppingen ist die Ausstellung auf Wanderschaft und ist in Marl (bis 14. März), Lüdenscheid (16. bis 31. März), Lippstadt, Plettenberg, Velbert, Wadgassen b. Saarbrücken, Brilon, Bergkamen, Coesfeld, Telgte und Rheine zu sehen.
www.stiftung-kuenstlerdorf.de

Artikel vom 02.03.2006