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Verdacht: Wer auspackt, riskiert Lohn

Ermittler stoßen bei Klinik-Neubau auf Netz von Briefkastenfirmen

Von Christian Althoff
Minden (WB). Am Neubau des 210 Millionen Euro teuren Mindener Klinikums soll ein ganzes Netz von Briefkastenfirmen beteiligt sein. Das haben Ermittler herausgefunden.
Am 7. Dezember überprüften Beamte mehr als 200 Arbeiter auf der Großbaustelle des Klinikums, das dem Kreis und der Stadt Minden gehört.

Staatsanwaltschaft und Zoll werten seit mehr als zwei Monaten Unterlagen aus, die im Dezember bei einer Razzia auf der größten Klinikbaustelle Deutschlands sichergestellt worden waren. Die Verantwortlichen von mittlerweile sieben Firmen stehen im Verdacht, Straftaten wie Steuerhinterziehungen oder Beihilfen begangen zu haben. Nach Informationen des WESTFALEN-BLATTES soll ein Berliner Bauunternehmen seine Mitarbeiter ohne deren Wissen über Briefkastenfirmen bei den Sozialversicherungsträgern angemeldet haben. Als Ermittler den Geschäftsführer einer dieser Firmen aufsuchen wollten, stellte sich der angebliche Firmensitz als Fahrradschuppen im Hinterhof eines Berliner Mietshauses heraus. Über das Motiv für dieses Vorgehen können die Ermittler derzeit nur spekulieren. Möglich erscheint ihnen, dass die Zahlungen an die Sozialkassen irgendwann eingestellt werden sollen. Da die Krankenkassen in solchen Fällen erfahrungsgemäß einige Wochen stillhalten, spart der Arbeitgeber Geld. Wenn die Kassen dann irgendwann ihre Forderungen durchsetzen wollen, laufen ihre Bemühungen bei den Briefkastenfirmen ins Leere.
»Es ist unfassbar, mit was für einem Sumpf wir es bei diesem aus Steuermitteln finanzierten Bau zu tun haben«, sagte gestern Bodo Matthey von der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. Er erklärte, die Razzia habe für die beteiligten Firmen keineswegs wie ein Warnschuss gewirkt. »Es wird weiter gefälscht und betrogen«, sagte Matthey und versicherte, er könne seine Vorwürfe belegen: »Die entsprechenden Unterlagen übergebe ich noch in dieser Woche dem Zoll.«
Nach Angaben des Gewerkschafters werde etwa bei kroatischen Eisenflechtern 40 Prozent Lohn mit der Begründung einbehalten, man schicke das Geld an deren Familien. »Tatsächlich kommen in Kroatien aber nur zehn Prozent an«, sagte Matthey. Außerdem sollen Bauarbeiter für wahrheitsgemäße Angaben gegenüber dem Zoll mit 500 Euro Lohnabzug bestraft worden sein.

Artikel vom 28.02.2006