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Kommentarlos wandte sie sich wieder dem Herd zu.
»Ich schau mal ins Speisezimmer, ob da alles in Ordnung ist«, sagte ich aufgeräumt und streckte mich. »Bei Ihnen läuft alles klar, oder? Sie sind nicht sauer, oder so?« Ich akzeptierte das Topfklappern als Antwort. Ich hatte die Klinke der Küchentür schon in der Hand, da drehte ich mich noch mal um, um mir das Bild einzuprägen: rote Ellbogen zwischen dampfenden Töpfen, der straff gebundene Haarknoten, der sympathische Schwung ihrer Wangenknochen. Dann machte ich die Tür auf undÉ
»Aua!«
Éstieß mit Bel zusammen. »Õtschuldige«, sagte ich und reichte ihr die Hand, um ihr wieder aufzuhelfen. »Komm, ich nehm dir das ab.«
»Danke, geht schon. Alles in Ordnung mit dir?«
»Wieso? Klar, natürlich. Ich hab nur was im Auge, das ist alles.« Ich folgte ihr ins Speisezimmer, wo sie die Schatulle abstellte und sich den Staub von der Bluse wischte.
»Wie viel von dem Zeug willst du runterschaffen? Auf dem Dachboden stehen noch Kartons mit Sachen von Mutters Familie. Wenn du willstÉ«
»Tja, ich glaube kaum, dass wir noch Platz haben dafür.« Wir schauten uns im Zimmer um.
»Sieht aus wie Aladins Höhle.« Aus jeder Ecke blinkten und glitzerten Kostbarkeiten: Armreife, Ringe und Fußkettchen, Jade und Lapislazuli, Granatsteine und Saphire, Hindustatuetten, türkische Brücken, antike Pistolen und Krummsäbel, mehrere geheimnisvolle objets aus Afrika, gespenstisch grüne Tahiti-Perlen, ein byzantinischer Loros, Amulette, kleine PlanetarienÉ »Ich weiß nicht, Charles, ein bisschen protzig, meinst du nicht? Wenn Caligula zum Essen käme, okay É Aber für Laura? Sie will Versicherungen abschließen.«
»Nun ja, liegen ja jede Menge Sachen rum, die sie versichern kann. Da muss ihr doch das Herz aufgehen, meinst du nicht?«
»Du solltest ihr noch einen Taschenrechner und ein paar versicherungsmathematische Tabellen dazulegen, dann kommt sie sicher richtig auf Touren.«
»Ja, das wäre sicher hilfreich. Könntest du mal eben die Leiter haltenÉ«

A
ls mir aufgegangen war, dass ich sozusagen doppelt gebucht hatte, war mein erster Gedanke gewesen, das Essen abzusagen. Auf den ersten Blick schien es ziemlich sinnlos zu sein, eine Romanze mit Laura anzuleiern, wenn ich am nächsten Morgen praktisch tot sein würde. Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr begann ich mich zu fragen, ob die beiden Ereignisse nicht irgendwie miteinander verknüpft waren. Wie lange hatte ich auf diesen Abend gewartet, wie viele Male hatte ich von dem Augenblick, wenn sie durch diese Tür kam, geträumt? Hatte vielleicht das Schicksal es so gewollt, dass mein erstes Treffen mit Laura und mein Abflug von Amaurot zusammenfielen? Wollte das Schicksal mir sagen, dass unser beider Geschicke miteinander verwoben blieben? Sollte die uns verbindende Bande so stark sein, wie mir mein Gefühl das sagte, könnte es dann sein - ich wagte es gar nicht zu denken -, könnte es dann sein, dass wir irgendwie unseren Weg gemeinsam fortsetzten, sozusagen über das Grab hinaus, dass sie mich in mein neues Leben begleiten würde?

K
urzum, ich beschloss, das Abendessen würde stattfinden, auch wenn es etwas lästig war. Angesichts der Umstände und ungeachtet unseres gemeinsamen Schicksals hielt ich es trotzdem für klug, die Dinge so forsch wie möglich voranzutreiben. Deshalb hatte ich so viele Aphrodisiaka ins Essen mischen lassen, wie von Mrs P gestattet, und deshalb hatte ich für den Abend auch die Wertgegenstände der Familie aus den verschiedensten Winkeln des Hauses en masse ins Speisezimmer bringen lassen (allerdings hatte ich für letztere Aktion einen tieferen Beweggrund, welcher sich jedoch erst viel später offenbaren würde). Wahrscheinlich hatte Bel Recht: Es war wahrscheinlich protzig, aber es war die letzte Gelegenheit, mit der Zurschaustellung von fabelhaftem Reichtum irgendwen zu blenden, und daraus sollte ich, so meine Überlegung, das Beste machen. Des Weiteren forderte der Pragmatiker in mir, das Liebesabenteuer in die Tat umzusetzen, solange ich noch über die notwendige Hardware verfügte, soll heißen, ein Bett. Man soll diese Dinge ja nicht überstürzen, andererseits wusste ich nicht, wo ich in zwei Tagen sein würde, und selbst Casanova wäre es wohl peinlich gewesen, hätte er seine Mätresse nach all der harten Vorarbeit auf ein nettes Fleckchen Rasen oder hinter einen Müllcontainer bitten müssen.
»Das wollte ich die ganze Zeit schon fragen, Charles É Igitt, wo hast du denn das her?«
»Das nennt man shunga.Das ist eine sehr alte, wunderschöne japanische KunstformÉ« Ich platzierte das Blatt neben eine viktorianische Cameobrosche.
»Was macht er mit ihr? Hat der etwa zwei Penisse? Ach ja, was ist eigentlich mit Mrs P? Ich dachte, du hättest ihr die Woche freigegeben?«
»Ja schon, aberÉ«
»Sie schuftet schon den ganzen Tag in der Küche.«
»Hätte ich das Essen etwa selbst kochen sollen? Nachdem, was letztes Mal passiert ist? Ich will das Mädchen ja nicht vergiftenÉ«
»Inzwischen glaube ich auch, dass du Recht hattest É Der Topas sieht, glaube ich, neben dieser chryselephantinen Statuette besser aus, nein, neben der da aus Elfenbein É Also, ich glaube jetzt auch, dass sie ein bisschen, na ja, du weißt schon É Hast du auch gehört, wie sie die letzten paar Nächte so komisch geschrien hatÉ?«
»Geschrien?«
»Na ja, vielleicht nicht richtig geschrien, aber sie hat nach jemandem gerufen.«

B
ist du sicher, dass es nicht die Pfauen waren?« Seit den letzten Parasiten machten die Pfauen ein Heidenspektakel; der Lärm ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
»Nein, es war Mrs P, hundertprozentig. Jede Nacht so zwischen drei und vier. Man kriegt richtig Angst. Ich habe sie heute gefragt, ob sie schlecht schläft, aber sie schien gar nicht zu wissen, wovon ich rede.«
»Ihren Kochkünsten merkt man es jedenfalls nicht an.«
»Aber sie sollte nicht arbeiten, Charles. Sie ist ziemlich fertig. Hab ich dir schon von meiner Theorie erzählt? Ich hab da meine eigene Theorie.«
»Hmmm?« Ich stieg von der Leiter und ging rückwärts bis ans andere Ende des Esstisches, um mir das Bild von dort anzuschauen.
»Ich glaube, es hat damit zu tun, was im Kosovo passiert ist. Du weißt doch, dass sie sich im Fernsehen jeden Bericht angeschaut hat. Sie war wie süchtig. Ich glaube, das hat sie mehr aufgeregt, als sie zugibt.«
»Mmm.« Mit zusammengekniffenen Augen schaute ich durch ein Viereck aus Daumen und Zeigefingern auf die Anrichte. »Ist das nicht schon aus? Die NATO hat doch gewonnen, oder?« Ich erinnerte mich vage, dass kürzlich die Bauarbeiter behauptet hatten, die NATO hätte irgendeinen Krieg gewonnen, indem sie ganz woanders Menschen bombardiert hätte.

V
ielleicht ist das eine verspätete Reaktion. Jetzt, wo es vorbei ist, können die Leute aus dem Kosovo zurück in ihre Häuser. Und das nimmt sie so mit. Weil ihr vielleicht das Gleiche passiert ist, als nämlich die Serben in Bosnien oder Kroatien, oder wo immer sie herkommt, eingefallen sind É Mein Gott, kannst du dir vorstellen, wie das gewesen muss, Charles, all die unglücklichen Menschen in diesen armseligen Lagern, die Warterei und die Horrorgeschichten über die, die nicht fliehen konnten? Kein Wunder, dass sie Albträume hat.«
»Ab morgen kann sie sich eine schöne lange Pause gönnen«, sagte ich. Die Schätze schienen ihr eigenes Licht zu verströmen, ein sehr altes, pulsierendes, flüsterndes Licht.
»Ab übernächster Woche hat sie keine Arbeit mehr«, murmelte Bel und schaute auf ihre Uhr. »Hast du alles? Ich muss nämlich los.«
»Ja, alles da. Und danke, dass du mir geholfen hast.« Hastig trat ich auf sie zu und nahm ihren Arm. »Aber bis heute Abend bist du wieder da, oder?«
»Wahrscheinlich ja. Was ist?Warum schaust du mich so an?«
»Ach nichts. Nur so. Hab bloß gedacht, wär doch ganz schön, wenn du auch dabei bist.«

S
ie zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen. »Okay, ich versuchÕs. Aber jetzt muss ich wirklich.« Das Knirschen von Kies war zu hören; der Lieferwagen in der Einfahrt. »Scheiße!« Sie lief aus dem Zimmer und schoss die Treppe hinauf. Ich hörte, wie sie wieder herunterpolterte, ihren Mantel aus dem Garderobenschrank riss, Frank an der Tür begrüßte und beide glücklich plappernd verschwanden. Einen Augenblick lang stand ich da und wippte auf meinen Füßen hin und her, als hätte ich einen Schlag auf den Kopf bekommen. Heute Abend, sagte ich mir und atmete durch. Heute Abend ist noch Zeit genug zum Reden. Da mir noch fast zwei Stunden blieben, nahm ich meine einsamen Wanderungen durchs Haus wieder auf, von einem leeren Zimmer ins andere, mit Schmetterlingen im Bauch, und worauf mein Blick auch fiel, alles schien von nebelhaftem Licht umglänzt, alles schien mir zuzurufen:Adieu! AdieuÉ
Das Telefon klingelte. Ich lief nach unten.
»Äh, hallo, spreche ich mit É C?«
»Verdammt, MacGillycuddy, was wollen Sie jetzt schon wieder?«
»Ich wollte nur noch mal nachfragen, ob für heute Abend alles klar ist.«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 23.03.2006