22.03.2006
|
»Stop!«, schrie ich. »Aufhören, bitte.«
D
»Alles in Ordnung?«, fragte MacGillycuddy.
Was konnte ich sagen? Um mich herum brach alles zusammen. Plötzlich kam mir unsere Vernichtung nicht nur unerbittlich, sondern auch absolut logisch vor. Es blieb nur eine einzige Möglichkeit.
»Wie war das noch mal, wenn man seinen eigenen Tod vortäuschen will?«
Vier
»Überhaupt nicht. Sie wären überrascht, wie viele Leute das heute machen.«
MacGillycuddy saß mir gegenüber auf der Bank, an seinem Bein lehnte ein Postsack. »Leute aus allen Schichten machen das, vom reichen Rechtsanwalt bis zum einfachen Gemüsehändler. Das kommt viel öfter vor, als Sie glauben.«
Über unseren Köpfen hüpfte eine Amsel auf dem bröckelnden Dachgesims herum. MacGillycuddys Stimme schien von weit her zu kommen. »Die Sache mit dem Tod schlägt Ihnen aufs Gemüt. Das ist eine ganz natürliche Reaktion:Man hört das Wort, und schon macht man sich Sorgen. Aber der Punkt ist, dass Sie ja gar nicht sterben. Sie tun nur so. Ich weiß, das ist ein großer Schritt, das will ich gar nicht abstreiten. Aber eigentlich ist da nicht mehr dabei, als wenn Sie Ihre Küche renovieren lassen, zum Beispiel, oder sich ein neues Auto kaufen.«
»HmmÉ« Vor der Pavillontür hing ein dichter Efeuvorhang, der das einfallende Licht filterte. Das alles wurde wahrscheinlich nur noch durch Efeu zusammengehalten, dachte ich mürrisch. In diesen Winkel des weitläufigen Obstgartens kam niemand mehr.
»Eine zweite Sache, worüber die Leute sich oft Sorgen machen, ist der Verlust der Identität«, sagte MacGillycuddy. »Keine Frage, die Identität eines Menschen ist was sehr Spezielles. Nur die Identität sagt uns, wer wir sind, und deren Verlust ist was, mit dem jeder Kunde selbst klarkommen muss.« Er rutschte auf der Bank herum und hob philosophisch den Finger. »Wichtig ist eine positive Einstellung. Hat keinen Sinn, seinen Tod vorzutäuschen, wenn man nicht das Beste draus machen will. Was ich meine, ist Folgendes: Sie müssen das als Chance begreifen. Denken Sie nicht dran, dass Sie Ihre echte Identität verlieren, stellen Sie sich vor, Sie tauschen eine alte gegen eine neue ein. Wie viele Leute kommen schon in den Genuss von zwei Identitäten?« Er schaute mich neugierig an.
»Nicht viele«, räumte ich ein.
»Genau. Also, amüsieren Sie sich. Denken Sie an jemanden, der Sie schon immer sein wollten, und É na ja, sicher haben Sie schon selbst jede Menge Ideen. Ich will nur sagen, das muss keine schlechte Sache sein. Ich hab das jetzt schon ein paarmal durchgezogen, und ich sag Ihnen ganz ehrlich, es gibt vieles, weshalb ich Sie jetzt beneide, dass Sie einfach so Ihr altes Leben und die Lieben daheim abhaken können. Das Ganze ist wie ein großer Urlaub. Na, was ist, hört sich das nicht verlockend an?«
I
»So sicher wie das Amen in der Kirche.« Er klatschte sich mit der Urkunde auf den Oberschenkel. »Tod durch Unfall, kann gar nichts schief gehen.« Von draußen war ein leises Knirschen zu hören; Mrs P schleifte den Müllsack die Einfahrt hinunter zum Tor. Als MacGillycuddy mich immer noch schwankend sah, machte er weiter. »Also, noch mal. Die Zahlen sind wir durchgegangen. Sie sind nicht der Erste in so einer Lage. Sie machen sich Sorgen um Ihre Familie. Die Bank will Ihnen das Haus wegnehmen. Sie haben ein Problem, das ist die Lösung. So einfach ist das.« Er machte eine sokratische Pause, drückte das Kreuz durch und trank einen großen Schluck Milch.
I
»Nun?«
Diese Zeile von Yeats: Versag, und die Geschichte verwandelt sich zu Abfall, und die großartige Vergangenheit zum Irrweg von IdiotenÉ
»Ja, ich mache es.«
»Gut«, sagte MacGillycuddy mit faustischem Leuchten in den Augen, griff in seine Jacke und holte Stift und Papier hervor. »Dann zu den EinzelheitenÉ«
M
»Tun Sie da kein Ginseng rein?«
»Nein.« Sie nahm ein Glas mit Kräutern aus dem Regal. »Ich habe schon gesagt, Master Charles, wir haben im Haus kein GinsengÉ«
»Gut, gut, aber was ist mit Nashorn? Haben wir denn kein gemahlenes Nashorn da?«
»Master Charles, das Rezept, von dem Sie sprechen, ich kenne nicht. Ich bin ganz sicher, in Osso Buco kommt kein Ginseng oder Nashorn oder Spanische Fliege oder was Sie sonst alles sagen.«
»Na gut, einverstanden, aber É aber es gibt doch wenigstens Austern, oder? Mrs P?«
»Ja, Master Charles. Aber es ist schwer zu arbeiten, wenn Sie mir schauen dauernd über die SchulterÉ«
»Oh É tja.«
»Und wenn Sie die ganzen Kekse aufessen, dann haben Sie keinen Hunger mehr für Abendessen.«
»Ich kann einfach nicht anders«, sagte ich kleinlaut und machte den Deckel der Dose wieder zu. »Ich kann einfach nicht aufhören, das sind die Nerven oder so.«
»Hmm.« Sie nahm eine Prise Korianderpulver aus einem Glas, streute sie in eine dampfende Pfanne und rührte um.
»Master Charles, bitte entschuldigen Sie, aber ich habe gehört, wie Sie vor ein paar Tagen gesprochen haben mit Miss BelÉ«
»Ah ja?«
»Ja«, sagte sie zögernd, ohne sich zu mir umzudrehen. »Sie haben gesagt, dass die Bank kommt und das Haus wegnimmtÉ«
Jetzt drehte sie sich zu mir um. Sorgenfalten umrahmten ihre erschöpften Augen. »Was passieren, Master Charles? Wohin gehen wir?«
I
Viel Trost schien sie daraus nicht zu schöpfen.
Artikel vom 22.03.2006