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Tarifpartner nähern sich an

Jüngere Beschäftigte sollen künftig länger arbeiten, Ältere kürzer

Berlin/Stuttgart (dpa). Im Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes zeichnet sich zu Beginn der vierten Streikwoche ein möglicher Kompromissweg ab. Im Gespräch ist eine gestaffelte Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit nach Altersgruppen: Jüngere würden länger, Ältere kürzer arbeiten.
Bei den Gesprächen für die 220 000 Kommunalbeschäftigten in Baden-Württemberg zeigten sich die Verhandlungsführer von Arbeitgebern und Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gestern offen dafür. Mit einer schnellen Einigung wurde allerdings nicht gerechnet.
Ungeachtet der Stuttgarter Gespräche setzte ver.di die Streiks gestern fort. 18 000 Beschäftigte in sieben Bundesländern legten nach Gewerkschaftsangaben die Arbeit nieder. Schwerpunkte waren wiederum Müllabfuhr und Straßenreinigung. An den Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen wurde dagegen wieder gearbeitet. In der Vorwoche waren tageweise mehr als 30 000 Beschäftigte im Ausstand. Die Streiks seien von vornherein flexibel angelegt gewesen, sagte eine Sprecherin.
Trotz der ersten Annäherung rechnet ver.di-Bundesvorstandsmitglied Erhard Ott derzeit nicht mit einem schnellen Ende des Streiks. Die Gespräche mit den Arbeitgebern in Kommunen und Ländern ließen diese Hoffnung bisher nicht zu, sagte Ott. Das nächste Treffen der Tarifparteien im Streit der Bundesländer findet am 10. März statt.
Ott warnte davor, Privatisierungen etwa von Müllabfuhren als mögliches Heilmittel gegen Streiks anzusehen. Die Tarifverträge für die private Entsorgungswirtschaft liefen Ende April aus - auch dort seien Streiks denkbar. Das hänge von den Forderungen des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE) ab. »Wenn der BDE wiederum deutlich die Kosten senken will, dann werden wir uns auch hier auf einen Arbeitskampf einstellen«. Als aussichtsreichen Kompromissvorschlag sieht Ott gestaffelte Arbeitszeitverlängerung, wie sie der Verhandlungsführer der Länder, Hartmut Möllring (CDU), und Gewerkschaftschef Frank Bsirske am Wochenende ins Gespräch gebracht haben. Ott: »Wenn das keine deutliche Verlängerung des Arbeitszeitvolumens insgesamt bedeutet, dann könnte das eine Lösung sein.«
Als Modell gilt ein Abschluss zwischen ver.di und den Arbeitgebern für die 25000 nicht-ärztlichen Mitarbeiter der Universitätskliniken in Baden-Württemberg vom vergangenen Herbst.
Die durchschnittliche Arbeitszeit stieg damit von 38,5 auf 38,6 Stunden, weil nur 50 Prozent der Arbeitnehmer unter 40 Jahre alt waren und somit eine Verlängerung der Arbeitszeit auf 39 Stunden hinnehmen mussten. 40- bis 55-Jährige bleiben bei der 38,5-Stunden-Woche, Ältere arbeiten 38 Stunden. In der laufenden Runde streben die Arbeitgeber im Südwesten eine 40-Stunden-Woche an. Die Gewerkschaft will die 38,5-Stunden-Woche erhalten. Eine Übertragung des Uni-Vertrags würde nach Ansicht der Arbeitgeber die durchschnittliche Arbeitszeit verringern, da die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst der Kommunen im Schnitt deutlich älter seien als die der Kliniken.
Im Gespräch ist auch eine Staffelung der Arbeitszeit nach Vergütung. Beschäftigte in höheren Entgeltgruppen, etwa Pflegedirektoren, Heimleiter und Abteilungsleiter in Verwaltungen, müssten dann länger arbeiten als solche mit niedrigerem Einkommen wie beispielsweise Müllmänner oder Erzieherinnen.
Von Donnerstag an werden auch 1000 Angestellte der 70 Kindertagesstätten in Bremen in den Streik treten. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Bremen hatten bei einer Urabstimmung mit 98,5 Prozent für einen Arbeitskampf votiert.
Zum Streik-Auftakt will ver.di mit einer Demonstration gegen die geplante Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden protestieren.Seite 4: Kommentar

Artikel vom 28.02.2006