11.03.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Per Schienenbus nach Driburg
Detailreiche Groß-Modellanlage macht Ostwestfalens Bahnstrecken der 70er-Jahre samt Kurkonzert wieder lebendig
Die Augen von Sven (8) und Tim (10) leuchten »wie Weihnachten«, als sie den großen Saal im früheren Bad Driburger Güterbahnhof ehrfurchtsvoll betreten. So viele Züge, hunderte Miniaturhäuser und irrgartenähnliche Gleiskonstruktionen - so etwas haben die Brüder noch nie gesehen. Die Jungs sind begeistert - und ihr Vater Thomas Müller ist gar »völlig aus dem Häuschen«.
»Ein Kindheitstraum wird hier wahr«, schwärmt der Paderborner. Seit Oktober 2005 halten die Dampfloks an den Bahnhöfen der größten Modelleisenbahn in Ostwestfalen-Lippe. 10 000 Besucher haben das Spektakel mit Tag- und Nachtvorführungen schon gesehen.
Die größte Modellbahnschau zwischen Harz und Ruhrgebiet, so wirbt Betreiber Karl Fischer aus Brakel, ist das Ergebnis monatelanger Arbeit und filigranster Bastelkunst. »20 Eisenbahnmodellbauer haben viele 100 Stunden Arbeit in das Projekt investiert«, erzählt Eisenbahnfan Karl Fischer, der mit dem Bau der Anlage sein Hobby zum Beruf gemacht hat.
»Wenn die Menschen die Anlage zum ersten Mal sehen, werden sich besonders alle, die Brakel, Bad Driburg und den großen Bahnhof Ottbergen kennen, sofort wie zu Hause fühlen«, sind sich die Bastler um den 33-jährigen Fischer sicher. Genau so ist es: Die berühmte Dampflok-Baureihe 44 fährt durch das detailgetreu nachgebaute Weserbergland, stoppt am Bahnhofsgelände von Ottbergen mit Bahnbetriebswerk, passiert Siedlungshäuser und einen Landgasthof an der B 64. Auch der Bad Driburger Bahnhof mit Nebenstraßen, Tankstelle und dem Gräflichen Kurpark samt Konzertmuschel ist im Maßstab 1:87 neu entstanden.
Nostalgiker geraten ins Schwärmen, wenn sich die ersten Züge bei den stündlichen Vorführungen in Bewegung setzen. Streckenstilllegung, Gleisrückbau, Personaleinsparungen und Rückzug aus der Fläche: Das sind Entwicklungen, die viele Bürger seit Jahren traurig stimmen. Seit 35 Jahren ist die Bahn gerade in den ländlichen Bereichen der Region OWL auf dem Rückzug. Mit dem Abgang der »Bahnkultur« ist viel Tradition verloren gegangen. Grund genug für das Team »Modellbahn Bw Ottbergen, Bf Bad Driburg«, durch eine Schauanlage einen Teil der alten Eisenbahnerherrlichkeit zu erhalten. Und das ist gelungen.
»Wir werden den schwarzen Gesellen von Ottbergen zu neuen Fahrten im Maßstab 1:87 verhelfen«, meinte Francois Huguenin, als er mit seinem Bruder Bernhard 2004 zur Modellbaugruppe gestoßen war. Karl Fischer, der Kopf und Motor des ganzen Unternehmens, möchte, »dass die Anlage ganz nah an das Vorbild heranreicht«.
Gebaut ist alles so, wie es in den 1970er Jahren zuging: Rote Schienenbusse fahren, die letzten Dampfzüge rollen in die Bahnhöfe ein, in den Miniaturgärten wird gegrillt, bunte 70er-Jahre-Wäsche hängt an Minileinen, Modell-Mädchen hüpfen mit Plateauschuhen durchs Gelände, die Herren tragen natürlich schulterlange Haare und fahren mit dem VW-Käfer durch das Mini-Weserbergland.
Junge Straßenfußballer mit aufgeschürften Knien, Wäsche mit Kohlenstaub, Rostautos neben der Garage, eine Ottberger Straßenkirmes, Telegrafenmasten an der Bahnlinie, Traktoren, Kühe auf den Wiesen, Hausfrauen, die Fenster putzen, sogar ein Hundetrainingsgelände, ein Trimm-Dich-Pfad und ein Konzert mit großem Kurgäste-Auditorium im Driburger Kurpark sowie extra gealterte Fahrzeuge sollen an die »70er« erinnern. »Die Detailtreue ist beeindruckend«, loben viele Besucher. »Als kleinen Gag stellen wir sogar mit einem Polizeiwagen einen Verkehrsunfall nach und lassen Schweine aus einem Viehwaggon fliehen«, erzählt Karl Fischer.
Der Diplom-Kaufmann ist mit der Besucherresonanz der ersten Monate zufrieden: »Besonders an Wochenenden kommen die Zuschauer!« Der »Eisenbahnfreak von Kindesbeinen an« meint, dass er und sein Team 20 000 Arbeitsstunden geleistet haben. Und fertig sind die »großen Jungs« noch lange nicht. Erst vor ein paar Tagen wurde das Egge-Schloss Borlinghausen, das die WESTFALEN-BLATT-Leser in einem Wettbewerb für den Nachbau auswählt haben, als Modell mit Wassergraben und Brücke aufgestellt. Norbert Sickmann hat den Bausatz dafür hergestellt.
Eine sechsstellige Summe ist die Bad Driburger Anlage wert. Das Geld stamme aus Privatmitteln der Bastler und sei zum Teil als Kredit und zu fünf Prozent über Sponsoring finanziert worden, berichtet Karl Fischer. Die Eintrittsgelder der erhofften 20 000 bis 30 000 Besucher pro Jahr sollen, so sagt Fischer, die Kosten in den nächsten Jahren wieder einspielen.
Der »Saal« im früheren Driburger Güterbahnhof ist 23 mal elf Meter groß. Er gehört seit elf Jahren Willi Schopp. Die Wandmalereien stammen vom Bad Driburger Kulissenmaler Charlie Heising. Der Modelleisenbahnbauer Gerhard Dauscher aus Mühlhausen bei Nürnberg hat bereits eine Schauanlage in Lautenthal im Harz und das Miniaturwunderland Hamburg Speicherstadt gebaut - er war allein ein Jahr mit den Bahnhöfen Ottbergen und Bad Driburg beschäftigt. Die Brüder Francois und Bernhard Huguenin (Autoren des Ottbergen-Bahnbuches) haben die Planung bei Dauscher maßgeblich beeinflusst.
Neben den Lokschuppen ist das Bahnbetriebswerk mit Dampflokwechsel en miniatur (300 Stunden für Zeichnungen, 700 Bauteile) das Kernstück. 800 Meter Gleise wurden verlegt, viele 100 Meter Kabel gezogen. »Die Mini-Gebäude haben Museumsqualität«, unterstreicht Karl Fischer. Alle Häuser seien nach amtlichen Unterlagen rekonstruiert worden.
Für die präzise Modellbahnsteuerung und Verdrahtung sorgt die »Digitalisierung« unter Leitung von Reinhold Günther aus München. Lange Züge, hohe Zugfolgen, funktionstüchtige Bekohlungskräne, die Belichtung und viele technische Details wie das Rangieren machen die Anlage einzigartig, meint Karl Fischer. Aus ganz Deutschland sind die Fans angereist. »Ein Ungar ist 2000 Kilometer gefahren, um das Modell zu sehen. Er baut sich jetzt den Ottberger Bahnhof nach«, weiß Fischer. Die Besucher achten auf jedes Detail: »Eine Frau hat sich beschwert, dass nur drei Katzen herumlaufen«, schmunzelt er.
Karl Fischer und seine Bahnkollegen sind tageweise bis Mitternacht mit Reparaturen und Neuschaltungen beschäftigt. 20 Zugfahrten werden angeboten, 100 sollen es einmal werden. Und Besucher können das alles ganzjährig donnerstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr bestaunen. Nähere Informationen gibt es im Internet. Michael Robrecht
www.mo187.de

Artikel vom 11.03.2006