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Tipp-Kick

Asse auf grünem Filz

Der Ball ist eckig, und ein Spiel dauert zehn Minuten: Tipp-Kicker tragen eigene Meisterschaften aus -Êaktuell: Sammelteams im Dress der WM-Nationen.


Sepp Herberger, Trainer der Weltmeister-Mannschaft von 1954, hat bestimmt nicht an Tipp-Kick gedacht, als er behauptete: »Der Ball ist rund, und ein Spiel dauert 90 Minuten.« Bei Tipp-Kick nämlich dauert ein Spiel nur zwei Mal fünf Minuten, und der Ball ist keineswegs rund, sondern merkwürdig eckig geformt.
Trotzdem gibt es wenig Spiele, die auch bei Fußball-Fans so gut ankommen wie Tipp-Kick. Begonnen hat die Geschichte vor 83 Jahren mit einer Niederlage: Der Schwenninger Exportkaufmann Edwin Mieg bereitete sich bereits darauf vor, Junghans-Uhren in Indien zu verkaufen. Doch dann gab die Schweizer Herstellerfirma überraschend einem Konkurrenten Miegs den Vorzug. Darauf entschloss sich der Schwarzwälder Junge, eine andere schöne Idee zu Ende zu bringen.
Schon der Prototyp der heutigen Tipp-Kick-Figuren bestand aus einer Blechfigur, deren Fuß sich durch Druck auf einen Knopf über dem Kopf bewegen ließ. Das Patent dafür besaß der schwäbische Tüftler Carl Mayer. Mieg kaufte es ihm ab. Als er zwei Jahre später Tipp-Kick auf der Leipziger Messe vorstellte, wurden ihm auf Anhieb ein paar hundert Spiele aus der Hand gerissen. Für Mieg war dies der Beweis, dass das Spiel ankommt.
Das tut es bis heute. Tipp-Kick ist sehr schnell auf dem Küchen- oder Wohnzimmertisch aufgebaut. Der grüne Filz-»Rasen« ist ausrollbar und wird von Bandenaufstellern eingerahmt. Die aus Metall gegossenen Spielerfiguren sind einschließlich rotem Knopf etwa acht Zentimeter groß. Mit je 42 Gramm haben sie bestes Kampfgewicht. Der Torwart, der auf Knopfdruck in die rechte oder linke Torecke taucht, stieß übrigens erst in der zweiten Generation der Unternehmerfamilie zu den Feldkickern.
In Schwenningen ist man längst in Weltmeisterschaftslaune. Mathias Mieg, der das kleine Unternehmen mit seinem Cousin Jochen Mieg in dritter Generation führt, verweist darauf, dass das Unternehmen in normalen Jahren 60 000, in WM-Jahren jedoch meist etwa 100 000 Spiele verkauft. Mathias Mieg hält es für durchaus möglich, dass in diesem Jahr sogar der 1954 erzielte bisherige Rekordabsatz von 180 000 Exemplaren übertroffen wird.
Unterstützt werden die Verkäufe 2006 durch einige PR-Aktionen. So plant Ramazotti, während der WM die Käufer der Kräuterlikör-Flasche zusätzlich mit einer Tipp-Kick-Figur zu beglücken. Wer im »City Night Line«, dem Nachtzug der Deutschen Bahn, zu einem der WM-Austragungsorte fährt, kann sich die Fahrtzeit im Bistro mit einem Tipp-Kick-Spiel verkürzen.
Auf der Nürnberger Spielwarenmesse stellte Mieg als Ergänzung für die normalen Spielsets neue Stadionuhren und Flutlichtmasten vor. Zusätzlich gibt es neue handbemalte WM-Kicker in den Originalfarben der Weltmeister-Teams von 1954 (Deutschland), 1966 (England), 1970 (Brasilien) und 1982 (Italien).
»Spannung pur« ist angesagt, wenn die fast 800 Tipp-Kicker, die in Deutschland in Vereinen organisiert sind, gegeneinander antreten. Einer von ihnen ist Gerald Kretlow von den TKC Ostwestfalen Devils (Herford/Enger). Das vierköpfige Team hegt nach dem Neuzugang von Tipp-Kick-As Jens Foit (Hildesheim) gerade Aufstiegshoffnungen. Wie Kretlow das Spiel beschreibt, können sich an dem Geschick, mit dem hier die Bälle gespielt werden, sogar die Profis im »großen« Fußball ein Beispiel nehmen. So gibt es durch Feilarbeit hergestellte ausgesprochene »Rechtsdreher« und »Linksdreher«. Manche Spieler bringen es fertig, den Ball von der Ecke so in den Strafraum zu zirkeln, dass er dort beim Aufprall in Richtung Tor abdreht und ohne weitere Berührung ins Netz einschlägt. Zusätzliche Schwierigkeit: Der kleine Ball muss so gespielt werden, dass die eigene Farbe -Êweiß oder schwarz -Êoben liegt. Nur dann bleibt er im Besitz der Mannschaft.

Ein Beitrag von
Bernhard Hertlein

Artikel vom 01.03.2006