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Gewalt an Frauen keine Altersfrage

Verein Wildwasser schließt Beratungslücke in OWL auch für Behinderte


Von Gerhard Hülsegge
Bielefeld (WB). Lena S. (74) ist auf den ersten Blick eine ganz gewöhnliche Frau. Sie baute Deutschland nach 1945 mit auf, heiratete, zog drei Kinder groß. Erst als sie ins Krankenhaus muss und ihr ein Dauerkatheter gelegt werden soll, weigert sie sich strikt, lässt niemanden an sich heran. Der Grund: Am Ende des Zweiten Weltkrieges war sie von Soldaten mehrfach vergewaltigt worden.
In der Klinik trifft sie Anna L. (25). Sie leidet an Multipler Sklerose und ist an den Rollstuhl gebunden. Der Halbbruder, der sie pflegt, nutzt ihre Situation schamlos aus und belästigt sie regelmäßig sexuell.
Für beide Personenkreise plant der Bielefelder Verein »Wildwasser« neue Formen der Beratung und Hilfe. Erstmalig in Ostwestfalen-Lippe startet die Beratungsstelle für Frauen ab 18 Jahren, die in ihrer Kindheit sexualisierte Gewalt erlebt haben, im Mai die Aktion »Viva 60+«. Sie richtet sich speziell an ältere Frauen, die schon im Kindes- und Jugendalter missbraucht worden sind, zum Beispiel im Krieg, bei der Arbeit oder im häuslichen Umfeld. Zudem soll Behinderten der Weg in die Beratungsstelle (zurzeit noch an der Jöllenbecker Straße 57 in Bielefeld) durch die Anmietung neuer, barrierefreier Räume erleichtert werden.
»Gerade die Generation der heute über 60-Jährigen hat es nicht gelernt, über sexuelle Erfahrungen oder gar Gewaltverbrechen zu sprechen«, sagt Anke Lesner von »Wildwasser«. Mehr als eine Million Übergriffe durch russische, aber auch französische und amerikanische Streitkräfte sind bekannt. »Die Dunkelziffer dürfte aber weitaus größer sein«, erklärte gestern Prof. Dr. Horst von Bernuth vom Rotary Club Bielefeld-Waldhof, der das neue Wildwasser-Projekt, zu dem Einzel- und Gruppenangebote gehören, mit 2500 Euro unterstützt.
Getestet wird es bereits seit zwei Monaten in Bethel, resultierend aus 84 Anfragen seit 2004. Der Verein Wildwasser wird von der Stadt Bielefeld mit jährlich 56000 Euro gefördert. Speziell für den geplanten Umzug werden noch Sponsoren gesucht. Sie können sich, ebenso wie betroffene Frauen, unter 0521/175476 melden.

Artikel vom 25.02.2006