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Höchste Richter
beraten über
Strafen in JVA

Disziplinarmaßnahmen zulässig?

Von Christian Althoff
Herford (WB). Das Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe will am Mittwoch die Frage klären, ob Jugendstrafvollzugsanstalten überhaupt eine ausreichende Rechtsgrundlage haben, um Disziplinarstrafen gegen Gefangene zu verhängen. Der Verhandlung liegt der Fall eines Häftlings aus Herford zugrunde.
Amtsrichter Helmut Knöner: »Wir brauchen ein spezielles Gesetz.« Foto: Althoff

Die Tatsache, dass der Zweite Senat unter Leitung des Verfassungsgerichts-Vizepräsidenten Prof. Winfried Hassemer die Sache nicht schriftlich entschieden sondern eine mündliche Verhandlung angesetzt hat, wertet Rechtsanwalt Michael Bagnucki aus Bielefeld als Indiz, dass die Verfassungsrichter durchaus einen Regelungsbedarf sehen. Bagnucki vertritt den heute 20 Jahre alten Häftling.
Der Mann hatte als 16-Jähriger einen Raubmord begangen und war zur Verbüßung einer Strafe von neun Jahren in die Jugendstrafanstalt Herford gebracht worden. Dort fügte er sich nicht in die Gemeinschaft ein und war 2004 an einer Schlägerei beteiligt. Deshalb hatte der Leiter der Haftanstalt eine Disziplinarstrafe gegen den jungen Mann verhängt. Sie umfasste ein 50-prozentiges Einkaufsverbot, eine 14-tägige Fernseh-Sperre und den Ausschluss von Gemeinschaftsveranstaltungen. »Im Gegensatz zum Erwachsenenvollzug gibt es für junge Häftlinge kein Gesetz, das diese Sanktionen regelt. Die Haftanstalt beruft sich lediglich auf Verwaltungsvorschriften«, sagt Anwalt Bagnucki, der deshalb beim Oberlandesgericht Hamm Beschwerde gegen die Strafmaßnahmen eingelegt hatte. Ohne Erfolg, denn die Richter in Hamm verwiesen auf das Jugendgerichtsgesetz, in dem es heißt, der junge Häftling solle »erzogen werden«. Damit seien auch Sanktionen gedeckt.
Dieses will das Bundesverfassungsgericht nun prüfen. Der Bielefelder Rechtsanwalt steht mit seiner Kritik nicht alleine: Amtsrichter Helmut Knöner geht seit Jahren als Vollstreckungsleiter in der Jugendstrafanstalt Herford ein und aus und bemängelt seit langem fehlende Vorschriften: »Es gibt Gesetze, die vorschreiben, wie ein Falschparker bestraft werden darf. Aber es gibt kein Gesetz, das die Sanktionen gegen junge Straftäter regelt«, kritisiert der Richter, der die Disziplinarmaßnahmen ausdrücklich befürwortet: »Ohne solche Strafen wäre der Jugendvollzug hilflos, und in den Haftanstalten zöge das Chaos ein«, sagt Knöner. Dennoch dürfe ohne gesetzliche Grundlage nicht in Grundrechte eingegriffen werden: »Was in den Haftanstalten passiert, ist nichts anderes, als wenn ein Lehrer einen störenden Schüler nach Gutdünken in den Keller sperren oder eine Politesse die Höhe des Bußgeldes frei bestimmen dürfte«, sagt Knöner.
Auf Vorschlag des Bielefelder Anwaltes hat das Bundesverfassungsgericht Prof. Bernd-Rüdeger Sonnen aus Hamburg als Sachverständigen geladen, den Präsidenten der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ). Ob die acht Richter des Zweiten Senates, zu denen auch Prof. Gertrude Lübbe-Wolff aus Bielefeld gehört, übermorgen bereits zu einer Entscheidung kommen, steht nicht fest.

Artikel vom 27.02.2006