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Auf zur »Molotow-Cocktail-Party!«

»The In-Kraut 66/74«: Rare Aufnahmen von bekannten Deutsch-Poppern

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Wer hätte das gedacht, dass die deutschen Schlagersternchen nicht nur trällern konnten. Eine bemerkenswerte CD beweist, dass die »Krauts« auch den Swing hatten.
»The In-Kraut« zeigt bekannte Schlagerstars in ganz neuem Licht.

Schon mal »From here on it got rough« gehört? Garantiert - aber auf deutsch: 1967 sang Hildegard Knef »Von nun an ging's bergab«. Ein Jahr später textete ihr Ehemann, der englische Schauspieler David Cameron, die auf »The In-Kraut« vorgestellte Version, die dank Kurt Edelhagens rasiermesserscharfem Orchester ein ganz neues Hörerlebnis darstellt. Was übrigens auch ein bisschen an Hildchens (gewollt?) erbarmungswürdigem Englisch liegt . . .
Der Graphikdesigner Stefan Kassel und der Discjockey und Filmemacher Frank Jastfelder haben 20 Lieder aus den Jahren 1966 bis 1974 ausgegraben, die damals - wenn überhaupt - auf LPs in kleiner Auflage versteckt wurden. Schade nur (das einzige Ärgernis dieser Sammlung), dass die beiden in der Wolle gefärbte Pop-Enthusiasten ihre Notizen im Beiheft (man sagt, glaube ich, Booklet) auf Englisch verfassten.
Dem Hörgenuss jedoch tut das keinen Abbruch. Das Haschpfeifchen lassen Sie mal schön in der Rumpelkammer - »Kuno & The Marihuana Brass« entführen Sie auch ohne Dope in höhere Sphären. Bei Kunos »Brass«, dies nur nebenbei, delirieren 1970 Frank Dostal und Achim Reichel von den unvergessenen »Rattles« auf ihren Instrumenten, dazu Kuno Dreysse, der heute für einen lokalen Hamburger TV-Sender jobbt.
Ist das nicht . . .? Sicher doch: »Jumpin' Jack Flash« von Mick Jagger & Co., diesmal aber tanzpalasttauglich intoniert vom »Peter Thomas Sound Orchestra«, in dessen Mitte Lothar Meid von »Amon Düül II« schrebbelt, aber auch das nur nebenbei. Die süße France Gall wird mit »Hippie Hippie« kraut-a-delisch, Marianne Mendt lässt's auf bayerisch klingeln (»Wie a Glock'n . . .«), und das »Berlin« des Fräuleinwunders Heidi Brühl verursacht eine Gänsehaut. Groovy.
Ein paar instrumentale Stücke wie Günter Noris' »Gemini« dürfen sein. Den Kracher schlechthin aber hauen Vivi Bach und Dietmar Schönherr raus, die Skandalnudeln von »Wünsch dir was«. Sie bringen »Kapitalisten«, »Anarchisten« und »Faschisten« in einem Songtext unter, was selbst den rotzfrechen »Sex Pistols« nie gelang: »Molotow Cocktail Party« wird garantiert der Hit Ihrer nächsten Privatfete.

Artikel vom 25.02.2006