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Den Finger in die Wunde legen

Immer wieder die Erschließungskosten - Lokalzeitung vor Ort hilft Bürgern

Von André Best
Behördenwillkür, Steuergeldverschendung, Bürokratie: Wenn Bürger zu Opfern werden oder in Notlagen geraten, kann eine starke Tageszeitung fast so wichtig sein wie das tägliche Brot.

Das WESTFALEN-BLATT berichtete über einen für die Betroffenen »unglaublichen Fall«- ein gutes Beispiel dafür , wie engagierter Lokaljournalismus den Lesern von großem Nutzen sein kann.
Familie Pahlkötter (vier Kinder) aus Halle (Kreis Gütersloh) zählt zu 17 Betroffenen dieses »Falles«. Mitte der 90er Jahre hatten die Familien, einige davon sehr kinderreich, Grundstücke in einem Neubaugebiet gekauft (95 Mark pro Quadratmeter). Viele sind oder waren auf Wohnungsbauförderung angewiesen. Auch für die Familie Pahlkötter war der Traum von einem eigenen Häuschen Wirklichkeit geworden.
Aus dem Traum wurde jedoch Jahre später ein Albtraum. Nach Fertigstellung rechnete die Stadt Halle die Anliegerstraße »Mödsiek« ab. Kurz vor dem Weihnachtsfest 2005 flatterten die Bescheide ins Haus. Ein Schock für die Familie Pahlkötter und all die anderen Eigenheimbesitzer: Die Erschließungskosten für die Straße »Mödsiek« hatten sich gegenüber der ursprünglichen Kostenschätzung um mehr als 70 (!) Prozent verteuert. Statt 9000 D-Mark - wie damals von der Haller Stadtverwaltung prognostiziert - müssen die Pahlkötters jetzt 13 216 Euro bezahlen. Die Stadt hatte sich gehörig verrechnet. Allein die Baustraße war um 500 Prozent teurer geworden als ursprünglich kalkuliert.
»Für uns ein regelrechter Schock, wir sind bis heute hilf- und fassungslos«, sagt Anja Pahlkötter. Die WESTFALEN-BLATT-Leserin wandte sich an ihre Lokalzeitung in Halle.
Mit Erfolg: Die Redaktion berichtete nicht nur über den »Fall Mödsiek«, sondern stellte der Stadtverwaltung darüberhinaus unbequeme Fragen, kommentierte den peinlichen Patzer mehrmals und machte sich somit für die »Opfer« stark. Eine Betroffene bedankte sich im Schlusssatz eines Leserbriefes mit den Worten: »Ich bin froh, dass es die Pressefreiheit gibt«.
Der Fall schlug Wellen. Mittlerweile interessierte sich auch das Fernsehen für die seltsame Geschichte. Der ZDF-Länderspiegel berichtete einem Millionenpublikum vom »Hammer der Woche«. Und auch das WDR-Fernsehen sendete über den »Bürokratenwahn in Halle«. Nicht zuletzt wegen des öffentlichen Drucks bot die Stadtverwaltung den Betroffenen an, die Beiträge zum Teil zinsfrei zu stunden.
Für die Anlieger ist das jedoch nur ein schwacher Trost. Sie fühlen sich nach wie vor ungerecht behandelt und kritisieren, dass niemand in der Stadtverwaltung verantwortungsbewusst mit dieser Angelegenheit umzugehen scheint.
Mittlerweile haben die Anlieger Rechtsanwälte eingeschaltet. Ein Gutachten soll möglicherweise auch noch eingeholt werden. Wie der Fall weitergeht und ob den Anliegern endlich so geholfen wird, wie ihnen das zusteht, wird die WESTFALEN-BLATT-Redaktion genauestens im Auge behalten.
Nicht nur bei den Geschehnissen in der weiten Welt, im Wirtschaftsleben oder in der Bundespolitik - auch bei den lokalen Ereignissen legt die Redaktion, wenn nötig, den Finger in die Wunde. Im Sinne ihrer Leserinnen und Leser.

Artikel vom 15.03.2006