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Von Michael Schläger

Bielefelder
Optik

Mehr Sachlichkeit


Man muss sich nichts vormachen: Gäbe es in irgendeiner Branche der freien Wirtschaft einen neuen Tarifvertrag mit für den Arbeitgeber günstigeren Regeln bei Fristverträgen, er würde sofort und wohl auch lautlos umgesetzt. Im öffentlichen Dienst ist das etwas anderes. Es kommt eine zusätzliche, eben »öffentliche« Dimension hinzu. Da diskutieren Politiker und Gewerkschafter, da werden Interessengruppen mobilisiert.
So ist es auch in Bielefeld im Fall der 275 Beschäftigten auf Zeit bei der Stadt. Der Plan der Verwaltung, ihre Verträge zu überprüfen und die Leute nach einem Monat und einem Tag Arbeitslosigkeit zu den preiswerteren Bedingungen des neuen Tarifrechts für den öffentlichen Dienst weiter zu beschäftigen, hat zu einem Sturm der Entrüstung geführt. Manche Partei im Rat entdeckte ihre klassenkämpferischen Wurzeln neu. Das Wort »unanständig« war in der Debatte am Donnerstag eine häufig gebrauchte Vokabel.
Aber mehr Sachlichkeit wäre angebracht. In der Tat trifft die Idee der Verwaltung vor allem Geringverdiener, Erzieherinnen in den Kindertagesstätten und Reinigungskräfte. Sie müssen teilweise auf mehrere hundert Euro brutto im Monat verzichten. Das ist viel, wenn man von dem Geld etwa als Alleinerziehende auch die Kinder durchbringen muss. Es sind allerdings längst nicht mehr 275, sondern nur 107, bei denen eine Vertragsänderung in Frage kommt. Sie sollten Oberbürgermeister Eberhard David (CDU) beim Wort nehmen und sich auf die von ihm zugesagte Einzelfallprüfung verlassen. Man darf schon jetzt davon ausgehen, dass am Ende nur ganz wenige Kontrakte tatsächlich geändert und soziale Härtefälle ohnehin ausgeklammert werden. Der einmal angepeilte Spareffekt von mindestens 135 000 Euro dürfte wohl bei weitem nicht erreicht werden.
Aber die aufgeregte Debatte um die Zeitverträge zeigt einmal mehr die ganze Problematik der städtischen Sparanstrengungen. Die greifen nicht nachhaltig genug, weil es in der großen Sparkoalition aus vier Ratsfraktionen und Verwaltungsspitze nach wie vor knirscht. Da hilft nur eins: mehr miteinander reden.
Die Haushaltskoordinierungsrunde, in der die Spitzen von CDU, SPD, Grünen und Bürgergemeinschaft gemeinsam mit OB und Kämmerer zusammensitzen, muss Sparmaßnahmen von vornherein auf das Machbare abklopfen. Ansonsten droht die Lähmung des ganzen Prozesses, und die kann sich die Stadt nun wirklich nicht erlauben. Wäre sie nämlich ein Arbeitgeber in der freien Wirtschaft, sie hätte wohl schon längst Insolvenz anmelden müssen, so tiefrot sind die Zahlen, die sie schreibt.

Artikel vom 25.02.2006