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Warmherziger Dickkopf
im Dienst der Menschen

Kaisertreu und glaubensstark - Bethel war sein Lebenswerk

Von Burgit Hörttrich
Bielefeld (WB). Unzählige Straßen, Kirchengemeinden und Schulen in Deutschland tragen seinen Namen. Am 6. März 1831, vor 175 Jahren, kam Friedrich von Bodelschwingh im westfälischen Tecklenburg zur Welt.

Bekannter noch als er selbst ist sein Lebenswerk: Bethel. Seine Visionen und seine Tatkraft haben wesentlich dazu beigetragen, dass sich eine kleine »Anstalt für Epileptische« zur Europas größter diakonischer Einrichtung entwickeln konnte.
Am 5. März von 11 Uhr an überträgt das WDR-Fernsehen einen Festgottesdienst aus der Betheler Zionskirche. Unter dem Bodelschwingh-Zitat »Es geht kein Mensch über diese Erde den Gott nicht liebt« wird an ihn erinnert.
Im Rowohlt-Verlag ist eine Biografie erschienen, in der der Autor und Historiker Hans-Walter Schmuhl ein differenziertes Bild des Pastors zeichnet. Es verabschiedet sich von der verklärten Blickweise auf »Vater Bodelschwingh«, die dem ausgewiesenen Protestanten im Stil einer Heiligenverehrung begegnete. Charismatisch und warmherzig, agil und gläubig sei er gewesen, aber ebenso auch ein Dickkopf, ein politisch überaus konservativer, autoritärer Mensch, der trotz seines theologischen Studiums mit akademischen Diskursen nichts am Hut hatte, sondern von einer fast kindlichen Gläubigkeit beseelt war.
Bodelschwinghs Familie gehörte zum alten westfälischen Adel. Viele seiner Vorfahren waren Offiziere oder preußische Beamte. Auch sein Vater Ernst machte eine rasante Karriere - vom Landrat bis zum preußischen Finanzminister in Berlin. So lernte der Sohn Friedrich schon früh bedeutende Persönlichkeiten kennen und wurde zum Spielgefährten des Kaisers Friedrich Wilhelm III ausgewählt.
Für Bodelschwingh war die Monarchie gottgegeben, er blieb den Hohenzollern stets verbunden. So konnte er den Kronprinzen 1883 dazu bewegen, bei der Grundsteinlegung der Betheler Zionskirche mitzuwirken.
Nach dem Abitur besuchte Bodelschwingh die Philosophische Fakultät in Berlin, anschließend absolvierte er eine Ausbildung zum Landwirt und wurde Verwalter eines Guts in Pommern. Hier lernte er auch zum ersten Mal die Not der landlosen Unterschicht kennen. Sein Wunsch, Menschen zu helfen, wuchs.
Als er »in die Mission« gehen wollte, überzeugten ihn seine Verwandten, erst einmal Theologie zu studieren. Zudem erwarb Bodelschwingh Kenntnisse in der Krankenpflege und Arzneikunde.
Seine erste Stelle als Theologe führte ihn zur »Evangelischen Mission unter den Deutschen in Paris«. Seine Gemeindeglieder waren deutsche Gastarbeiter, die ihr Leben als Gassenkehrer bestreiten mussten. Gemeinsam mit seiner Frau Ida lebte er auf engstem Raum. Als Ida nach der Geburt des ersten Kindes Ernst erkrankte, nahm Bodelschwingh eine Pfarrstelle in Dellwig an der Ruhr an. Er galt als unbequem, weil er gegen Schützenfeste und »Branntweingenuss« wetterte. Auch als Publizist eines christlich-konservativen Sonntagsblattes versuchte er, Einfluss auf die Moral der Gemeindeglieder zu nehmen.
Hart geprüft wurde die Familie 1869. Die inzwischen vier Kinder Ernst, Elisabeth, Friedrich und Karl erkrankten an »Stickhusten« und starben innerhalb von zwei Wochen. »Darüber bin ich barmherzig geworden gegen andere«, sagte Bodelschwingh später. Dem Ehepaar wurden im Laufe der Jahre noch vier Kinder geboren.
Im Jahr 1872 übernahm Friedrich von Bodelschwingh für ein bescheidenes Jahresgehalt von 1000 Talern die Leitung der bereits fünf Jahre zuvor in Bielefeld gegründeten »Anstalt für Epileptische«. Zugleich wurde er Vorsteher des Bielefelder Diakonissenhauses. Unter seiner Leitung wurden jedes Jahr neue Häuser errichtet, immer mehr kranke und hilfsbedürftige Menschen wurden aufgenommen. Auch die Zahl der Mitarbeiter wuchs. Die Schwesternschaft »Sarepta« war bald die größte im Kaisers- werther Verbund, immer mehr Brüder traten in die Gemeinschaft »Nazareth« ein.
Von 1904 an wuchs Bodelschwinghs jüngster Sohn Fritz in die Aufgabe des Nachfolgers hinein, aber erst im Oktober 1909 teilte Bodelschwingh den Vorständen seinen ausdrücklichen Wunsch mit, dass sein Sohn seine Nachfolge antreten möge.
Nach mehreren Schlaganfällen starb Friedrich von Bodelschwingh am 2. April 1910. Beerdigt wurde er auf dem Friedhof neben der Zionskirche. Die Inschrift auf seinem Grabstein lautet: »Weil uns Barmherzigkeit widerfahren ist, darum werden wir nicht müde«.

Artikel vom 01.03.2006